PATIENT ZERO 1

  • von Marcus Peter Tesch
  • Theater Drachengasse
  • 3. – 29. März 2025, Di–Sa um 20 Uhr

die Tod hat einen witz gemacht und niemand lacht sonst darüber
denn die Tod ist nicht witzig
denn: die Tod ist nicht komisch, weil: die Tod hat einfach kein
timing

Eine Wohngemeinschaft in einer Großstadt, irgendwann zwischen Aids- und Coronapandemie, zwischen 1981 und 2021. Draußen: Winter, Schneeregen. Drinnen: Party. Es klingelt. Vor der Tür steht: der:die Tod. Schon wieder. Na toll …

Patient Zero 1 ist eine ebenso radikale wie humorvolle Kampfansage – gegen das Vergessen und Verdrängen, gegen Stereotype und falsche Vorurteile, gegen die Vereinsamung und das Schweigen im Umgang mit HIV und der Aids-Pandemie und nicht zuletzt: gegen den Tod selbst.
Zugleich ist der Text eine Würdigung all jener, deren Stimmen von einer sogenannten Mehrheitsgesellschaft nie gehört wurden, all jener, die bis heute stumm bleiben, aus Scham und Angst vor Stigmatisierung – obwohl eine HIV-Infektion seit Jahren gut behandelbar ist. Und nebenbei der Versuch einer vielstimmigen sprachlich konsequenten Neuerzählung von Gemeinschaft und Familie.

In Patient Zero 1 wird munter dahingestorben, aber auch feierwütig weitergelebt. Und so landet der:die Tod, der:die eigentlich bloß mal wieder eine Party crashen wollte, schließlich selbst in einer akuten Existenzkrise.

Marcus Peter Tesch macht queere Geschichte(n) sichtbar und setzt sich mit Klassismus auseinander.

Regie: Sandra Schüddekopf
Bühne, Kostüme: Johannes Weckl
Musik: Lukas David Schmidt
Regieassistenz: Laura Ritzenfeld
Ausstattungsassistenz: Silvia Aguilar Riveroll
Es spielen: Marie Nest, Karoline-Anni Reingraber, Jan Walter, Paul Winkler

Rechte bei Felix Bloch Erben Verlag, Berlin
Dank an LIFE COSTUMES und die Aids Hilfe Wien

Audiomitschnitt

Dauer: 105 Minuten

Am 5. März 2025 findet im Anschluss an die Vorstellung ein Publikumsgespräch mit dem Autor Marcus Peter Tesch und Mag.a Andrea Brunner von der AIDS-Hilfe Wien statt.

Wir weisen darauf hin, dass im Rahmen der Vorstellung Stroboskop-Effekte eingesetzt werden, welche bei empfindlichen Menschen zu epileptischen Anfällen führen können.

"Patient Zero1" in der Drachengasse: Gegen den Tod anschreiben

Schon der Einlass ins Theater Drachengasse beginnt als große WG-Party, auf der ausgelassen getanzt wird. Irgendwann klingelt es, der oder die Tod steht vor der Tür.

Es gibt keine klar auszumachende Handlung und auch keine festen Rollenzuweisungen, stattdessen entsteht ein vielstimmiges, durch Wiederholungen und wortgewandte Abwandlungen geprägtes, lyrisches Sprachkunstwerk. Eine mit Bravour gemeisterte Herausforderung für die Schauspieler Marie Nest, Karoline-Anni Reingraber, Jan Walter und Paul Winkler, die sich Textpassagen wie einen Ball zuwerfen oder im Chor einen rhythmischen Sog erzeugen.

„Patient Zero 1“ ist sowohl eine radikale als auch humorvolle Kampfansage gegen Stereotype, das Schweigen im Umgang mit HIV und den Tod selbst. Aids und Corona-Pandemie werden parallel geführt, Schuldfragen thematisiert und der Frage nachgegangen, wer Deutungshoheit im Kreieren von Narrativen und Rollenzuweisungen bekommt. Ein Pamphlet gegen Stigmatisierung, das den Fokus auf die „Unberührbaren, Unumarmten, Ungeküssten, …“ legt.

(…) Wenn der oder die Tod, großartig verkörpert von Karoline-Anni Reingraber, selbst in die Identitätskrise schlittert – nicht mehr als metaphysische Gewissheit, sondern als soziokulturelles Konzept – ,entfaltet „Patient Zero 1“ seine größte Wirkung. Als die Partygäste den oder die Tod aussperren, bleibt ihm oder ihr nichts anderes übrig, als sich erstmal eine „Pizza Diavolo“ zu bestellen.

kurier.at, 04.03.25


In "Patient Zero 1" im Theater Drachengasse weist man dem Tod die Tür

Marcus Peter Teschs Stück blendet in Sandra Schüddekopfs Regie in eine elektrisierte WG zwischen Aids- und Corona-Pandemie

Die Corona-Pandemie hat Erinnerungen an das HI-Virus wachgerufen, das zur Immunschwächekrankheit Aids führen kann, an der seit Beginn der Epidemie Ende der 1970er-Jahre über 40 Millionen Menschen gestorben sind. Marcus Peter Tesch hat sein Stück Patient Zero 1 jenen gewidmet, die damals und heute nicht gesehen und gehört wurden, den "weginstitutionalisierten", auch den "lieblos verlebten" oder "den nicht mitgestorbenen". 35 Seiten ist diese Widmung lang, sie bildet zugleich den ersten Teil dieses lyrisch gebauten Dramas, das Sandra Schüddekopf im Theater Drachengasse in Wien weitgehend als vielstimmigen Chor in Szene gesetzt hat.

Patient Zero 1 rekapituliert das haarsträubende Vorgehen der Behörden damals, das Stigmatisierung und Vorurteilen Vorschub leistete (Kriminalisierung). In Deutschland, so die Recherche des Autors, wurde sogar eine Zwangstätowierung als abschreckende Kennzeichnung von Infizierten in Erwägung gezogen, ebenso Berufsverbote und die Internierung von Homosexuellen. Diese Realität bedingt auch die nun regelrecht zerschnittene, amputierte, immer wieder stockende sprachliche Form des Textes. Kaum, dass hier ein vollständiger Satz fällt – was das Zuhören nicht gerade leichtmacht.

Nachhall

Das Schauspielteam (Marie Nest, Karoline-Anni Reingraber, Jan Walter und Paul Winkler) massiert die Wort- und Satzteile akkurat; scharfkantig ist auch die tänzerisch durchwirkte Performance in glitzernder Clubbing-Atmosphäre (Bühne und Kostüme: Johannes Weckl). Im Mittelteil bekommt die WG Besuch von Gevatter Tod, der aber weiblich tituliert wird und von Reingraber famos als notdurftgeplagtes Scheusal auf der winterlichen Gasse interpretiert wird. (...)

Der Standard, 6.3.2025


Aids und Corona : Grindr-Date mit dem Tod

Als Corona kam, erlebten Betroffene der HIV-Krise ein Déjà-vu. „Für mich war es nicht die erste Pandemie“, sagt jemand in Marcus Peter Teschs „Patient Zero 1“. Bis dahin geht das Stück des 1989 geborenen Deutschen allerdings einige verschlungene Wege.

Allein die kunstvoll formulierte Widmung an diverse Personengruppen (zum Beispiel „den solidarisch mitverendet Unvollendeten“) nimmt in Sandra Schüddekopfs Inszenierung ungefähr eine halbe Stunde in Anspruch, unterbrochen durch wilde Tanzeinlagen der Spielerinnen und Spieler. Für Clubs wie den Berghain ausgestattet (Bühne und Kostüm: Johannes Weckl), sollen sich die vier die Partylaune von keinem Virus verderben lassen. Als es endlich richtig losgeht, sind sie von Text und Regie schon ziemlich ausgepowert. Denn erst nach der Hälfte gönnt sich der Text seine erste und einzige wirkliche Szene. Die ist dafür durchaus lustig. In einer dicht besiedelten queeren WG klopft eines Abends der Tod an. Er ist einerseits weiblich, besteht andererseits aber auch irgendwie aus mehreren Personen („They are my Grindr date!“), wird von der angeregt plaudernden Gesellschaft aber hauptsächlich ignoriert.

Aus dem sehr agilen und homogenen Ensemble sticht Marie Nest mit kurzen ironischen Gesangseinlagen hervor.

FALTER: Woche 11/2025 , 11.03.2025


Spielplan Januar 2022