Titanic oder wie tief kann man sinken

  • nach James Cameron
  • Uraufführung
    Eine Koproduktion mit Theater Drachengasse
    Jury- und Publikumspreis Nachwuchswettbewerb 2023
  • Bar&Co
  • 22. Jänner – 3. Februar 2024, Di-Sa um 20 Uhr
    Keine Vorstellung am 23. Jänner 2024


What am I doing here, in the middle of the ocean, alone in a boat, surrounded by frozen corpses?
Slavoj Žižek

Die Menschen haben ein Schiff gebaut und es Titanic genannt. Es fährt hinaus aufs Meer und sinkt vier Tage und eine Nacht später. Aber die Titanic sinkt nicht wie andere Schiffe, sondern sehr, sehr langsam; beinahe unmerklich. Genug Zeit also für einen gewissen Jack Dawson und eine gewisse Rose DeWitt-Bucator, sich im hüfttiefen Wasser unverkrampft kennenzulernen und den Augenblick zu genießen.  

Das Solo wurde im Nachwuchswettbewerb 2023 sowohl mit dem Jury-, als auch mit dem Publikumspreis ausgezeichnet und kehrt nun abendfüllend in die Drachengasse zurück. Willkommen an Bord des Director’s Cut.

   

Die mit feinem Humor inszenierte Arbeit überzeugt durch eine vielschichtige Erzählung, die es schafft, durch kleine Gesten, Gedanken und Referenzen auf große Zusammenhänge blicken zu lassen. Die in diesem Aufriss skizzierte gestohlene Zukunft stellt das private Schicksal zweier Kunstfiguren in den Mittelpunkt und verweist dabei pointenreich und klug auf eine Menschheit, die ihr gemeinsames Prestigeprojekt mit Höchstgeschwindigkeit voraus gegen den Eisberg fährt. Die bemerkenswerte schauspielerische Darstellung verzichtet auf große Gesten und ist sich dennoch der Größe der thematischen Spann- und Tragweite bewusst. Die vielen aufgeworfenen Momente dieses Entwurfs machen Lust auf ein abendfüllendes Solo mit Rose und Jack und einem Wunderwerk menschlichen Schaffens, dessen Untergang kaum vorstellbar und dennoch vorgezeichnet ist.

Jurybegründung von Marie Bues (Leitung Schauspielhaus Wien), Johanna Figl (Kuratorin Theater, Tanz, Performance Stadt Wien), Andreas Fleck (Künstlerischer Leiter WUK performing arts)

Regie, Text: Lea Marlen Balzer 
Dramaturgie: Sarah Heinzel  
Bühne, Kostüm: Henry Boebst
Es spielt: Alicia Peckelsen  

Dauer: 60 Minuten

Jack, Rose und das sinkende Schiff

Es gibt 24 Arten von Eisschollen, Alicia Peckelsen stellt einige von ihnen pantomimisch dar. Die Schauspielerin erforscht im Solo „Titanic oder wie tief kann man sinken“, wie das größte Schiff seiner Zeit mit einem Eisberg zusammenstoßen konnte und was danach geschah: sehr lange nichts.

Vor allem aber geht es um die berühmten Liebenden Jack und Rose aus dem Filmdrama, die sich auf dem sinkenden Dampfer leidenschaftlich nahekommen: „Vielleicht wird unsere Geschichte mal verfilmt!“ Mit Mikro und Diaprojektor ausgestattet erzählt Peckelsen diese Geschichte vom menschlichen Größenwahn humorvoll und mit Mut zur Pause, U-Boot-Ausflug zum Schiffswrack inklusive.

FALTER,  5/2024 vom 30.01.2024


Von menschlichen Eisbergen und gefrorenen Tragödien

Das Theaterstück „Titanic oder wie tief kann man sinken“ nach James Cameron, prämiert mit dem Jury- und Publikumspreis im Nachwuchswettbewerb 2023 des Theaters in der Drachengasse, entführt die Zuschauer:innen auf eine humorvolle Reise durch die Untiefen menschlicher Beziehungen und gesellschaftlicher Abgründe.

Die Inszenierung, geschaffen von Lea Marlen Balzer, Henry Boebst, Sarah Heinzel und Alicia Peckelsen, zeichnet sich durch ihre feine Mischung aus Humor und Tiefgang aus. Die Geschichte der Titanic wird nicht nur als historisches Schiffsunglück erzählt, sondern vielmehr als Spiegelbild für die gegenwärtige Menschheit, die scheinbar auf ihren eigenen metaphorischen Eisberg zusteuert.

Eintauchen

Die Performance von Alicia Peckelsen als Solistin überzeugt durch ihre Vielseitigkeit. Besonders beeindruckt ihre Fähigkeit, die Zuschauer:innen in die skurril echten Dialoge zu ziehen. Das Bühnenbild, geprägt von einem hellen schrägen Viereck, verleiht der Situation eine eigenwillige Atmosphäre. Die Verwendung von dem Diaprojektor und die Integration von realen Geschichten, wie dem Tauchboot Titan, sorgen für reichlich Abwechslung.

Herz springt, Schiff sinkt

Die Inszenierung geht aber über die bloße Nacherzählung des Titanic-Dramas hinaus. Sie streut philosophische Reflexionen über die wohl echten Dialoge zwischen Jack und Rose. Ihre Unterhaltungen gleichen den jungfräulichen Interaktionen zweier Teenager, die sich das erste Mal in ihrem Leben an die Liebe herantasten. So relatable waren die zwei wirklich noch nie. „Und weil du Angst vor Wasser hast, werde ich beim Duschen immer deine Hand halten.“ -Das muss echte Liebe sein. Die Darstellung der Liebesgeschichte zwischen den beiden, die im Kontext des Untergangs der Titanic fast satirisch wirkt, hinterlässt einen sehnsüchtigen Eindruck.

Subtext.at, 29.01.2024


Hin- und herspringend über Untergänge und Höhenflüge

Siegreiches Projekt aus dem vorjährigen Nachwuchsbewerb nun in voller Länge im Theater Drachengasse.

Ein helles schräges aufgemaltes Viereck sticht aus den schwarzen Wänden hervor. Das Licht geht aus, noch aber sind schwätzende Menschen im Publikum zu hören. Die Schauspielerin lugt vorsichtig ums Eck. Als es endlich ruhig ist – tatatata – entert Alicia Peckelsen die Bühne. Freut sich riesig, da zu sein. Zwischendurch stellt sie sich ebenso schräg hin wie das Viereck. „Titanic oder wie tief kann man sinken“ steht nun auf dem Programm. Es ist das siegreiche Projekt des vorjährigen (15.) Nachwuchsbewerbs. Aus den vier 20-Minuten-Performances wählte die Jury – und in diesem Fall auch das Publikum – die Story um das gesunkene „unsinkbare“ Schiff aus. Im Zentrum stand – bzw. steht irgendwie auch noch immer – die Inspiration durch die James-Cameron-Verfilmung 1997 mit dem Liebespaar Rose und Jack.

In meist sehr schrägen – auch in gerader aufrechter Position (!) – Szenen schlüpft die Solistin, eine wahre Rampensau im besten Sinn des Wortes, in teils skurrilen Dialogen in die Rolle der einen und des anderen. Lässt die aufkommende Liebesgeschichte am untergehenden Schiff fast satirisch erscheinen, erobert damit nicht nur die Bühne, sondern die hinter den Publikumsreihen etablierte Bar samt Gläsern mit geknickten Stielen und das an der Wand stehende Piano.

So und so viele Minuten nach Eisberg

Über rein verbale Schilderungen lässt sie vor den geistigen Augen der Zuschauer:innen das dunkle, kalte Meer auftauchen. Zur „Untermalung“, sorgt sie für Geräusche der Schaumkronen der Wellen via Sekt-prickeln direkt vor dem Mikrophon. Ein bisschen Kälte-Feeling verursacht sie durch Öffnen der Tür neben der Bühne, so dass die Winterluft in den Publikumsraum einziehen kann.

Die Tragödie selbst manifestiert sich in Schrifteinblendungen via Diaprojektor: Beginnend von 21 Minuten nach Eisberg bis am Ende mehr als 60 Minuten nach dem Zusammenprall. Alle paar Minuten springt sie in die Liebes-Dialogszenen. Oder ganz, ganz andere.

Tauchboot zum Titanic-Wrack

So baut Peckelsen (Regie: Lea Marlen Balzer, Dramaturgie: Sarah Heinzel, Bühne: Henry Boebst) die antike griechische Sage von Daedalus und Ikarus ebenso ein wie die reale Geschichte vom Tauchboot Titan, mit dem im Juni des Vorjahres neben einem Tiefseeforscher vier Superreiche hinunter zum Wrack der Titanic tauchen wollten. Der 19-jährige Suleman Dawood, der mit seinem Vater, einem pakistanisch-britischen Geschäftsmann im U-Boot saß, das letztlich implodierte, wird mittels fiktiver Telefonate vor dem Tauchgang zum Protagonisten für dieses Unglück in der Nähe des untergegangenen als unsinkbar gegoltenen Schiffs vor 112 Jahren.

Mögliche angestoßene Fragen

Womit sich der Kreis der „alles machbar“-Tragödien schließt. Und sich – vielleicht – manche danach auch noch Fragen stellen, die im Stück gar nicht angesprochen werden: Wieso sind es immer die Unfälle der eher Reichen, die weltweit bewegen? Ob Titanic – wo die Schicksale der ärmeren Passagiere in den unteren Decks kaum Thema waren? Oder beim Tauchboot im Vorjahr wo es große, aufwändige Suchaktionen gab, während im Mittelmeer sogar Rettungsversuche für Menschen, die aus klapprigen Booten über Bord gehen, kriminalisiert werden?

kijuku, 23.01.2024


“Titanic oder wie tief kann man sinken”, das Siegerstück des Nachwuchswettbewerbs der Drachengasse,  verknüpft in einer bewundernswerten One-Woman-Show die popkulturelle “Titanic” thematisch mit kreativen Ideen.

Der Beginn der Vorstellung dient zur Verortung: “Wie kann ich euch erklären, wie kalt es ist?”, fragt sich die einzige Darstellerin Alicia Peckelsen, ehe sie nach Möglichkeiten sucht, uns die Kälte des Aprils 1912 begreifbar zu machen. Sektschaum hilft ihr schließlich dabei, die Szenerie im weiten Nordatlantik genauer zu beschreiben. Das ist eine der vielen unkonventionellen, kreativen Interventionen des Abends, der uns verschiedene Aspekte des Titanic-Unglücks näher bringt.

Da ist einerseits die tatsächliche Dramatik: Das oft wiederholte “größte bewegliche Objekt”, das nach der Kollision mit einem Eisberg untergeht, wobei durch menschliches Versagen weniger Menschen als möglich gerettet werden konnten. Die Passivität der Besatzung und die damit einhergehende Ausweglosigkeit wird durch den Diaprojektor vermittelt, dessen, durch Peckelsen weitergeschaltete Folien die verlorene Zeit nach dem Zusammenstoß abzählen: “30 Minuten nach Eisberg”, “40 Minuten nach Eisberg”, ohne dass die Mannschaft handelt.

Auf der anderen Seite ist “Titanic” als Film von James Cameron ein Teil der Popkultur, dessen Wissen vorausgesetzt wird. Das Produktionsteam (Lea Marlen Balzer, Henry Boebst, Sarah Heinzel, Alicia Peckelsen) spinnt die Anspielungen auf die tatsächlichen Dialoge weiter und gibt Jack und Rose oberflächliche Teeniedialoge. Verweise auf die berühmte Tür, auf der mehr als eine Person Platz gehabt hätte, dürfen natürlich auch nicht fehlen.

Schließlich stellt “Titanic oder wie tief kann man sinken” spannende inhaltliche Verknüpfungen her. Die Reise eines pakistanischen Teenagers zum 2023 verunglückten U-Boot “Titan” wird über Sprachnachrichten erzählt. Länger dauert es, um die Szenen einzuordnen, die von Dädalus und Ikarus der griechischen Mythologie handeln. Am Ende wird klar, dass diese eine gute Verbindung zur menschlichen Überheblichkeit darstellen.

Komplett ausgenutzt wird der (kleine) Raum des Bar&Co: Alicia Peckelsen hüpft zwischen ihren verschiedenen Rollen von einer Bühnenseite zur nächsten und hält in einer irritierenden Szene eine Rauchpause am Balkon. Schließlich landet sie in ihrer Doppelrolle als Jack-Rose an der Bar mit schiefen Gläsern, bevor das Stück nach nur einer Stunde abrupt endet. 

Fazit: Ein Stück, das für viele interessante, lustige, aber auch irritierende Momente sorgt, die aufgrund der kurzen Spielzeit nicht weiter ausgeführt werden können.

neuewiener.at, 27.02.2024


Spielplan Januar 2022