Der öffentliche Raum
- Ulrike Syha
- Theater Drachengasse
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2. – 28. März
Di-Sa um 20 Uhr
- Aufgrund der aktuellen Entwicklungen der COVID-19-Pandemie sind ab Montag, 16.03., alle Termine abgesagt.
Bitte bewahren Sie Ruhe. Die Lage ist stabil.
Eine Frau, ein Mann, seine Tochter aus erster Ehe.
Ein Land, das sich gerade daran gewöhnt, in so gut wie allen Fragen gespalten zu sein.
Sicherheit ist ein menschliches Grundbedürfnis, konstatiert der Mann eines Tages und beginnt, das gemeinsame Haus in eine Festung zu verwandeln. Leben muss doch irgendwie kontrollierbar sein. Bei der eigenen Karriere hat das schließlich schon ganz gut geklappt: Die Mitgliedschaft in einem elitären Anwaltszirkel beginnt sich auszuzahlen, auch wenn dabei so manche linksliberale Überzeugung auf der Strecke bleibt.
Seine Frau dagegen ist derzeit von der Arbeit suspendiert – warum, möchte sie der Familie lieber nicht mitteilen. Nachts attackiert sie fremde Menschen in Internetforen, tagsüber folgt sie anderen durch die Stadt. Sie trifft Nörgler, Ja-Sager, Nein-Sager und Ja-aber-Sager, Anarchos, Klima-Aktivisten, Rassisten und Utopisten – vor allem dort, wo man sie am wenigsten erwartet. Bis sie plötzlich merkt, dass auch ihr jemand folgt.
Und dann meldet sich auch noch ein Hacker zu Wort.
Regie: Sandra Schüddekopf
Bühne, Kostüme: Andrea Fischer
Video: Nela-Valentina Pichl
Musik, technischer Firlefanz, Sounddesign: Rupert Derschmidt
Regieassistenz: Juliane Aixner
Es spielen: Zeynep Buyraç, Thomas Kamper, Ylva Maj, Sebastian Thiers, Alexandra Maria Timmel
Rechte bei Rowohlt Theaterverlag Hamburg
Überwachungsdrama in der Drachengasse: Syhas "Der öffentliche Raum"
Uraufführung von Ulrike Syhas Drama "Der öffentliche Raum" – Regie führt Sandra Schüddekopf
Gesellschaftspolitisch akute Fragen spalten die Gesellschaft. Zu diesem oft orientierungslosen Kampf in der unmittelbaren Gegenwart gibt es bereits ein Theaterstück. Ulrike Syhas Der öffentliche Raum hat soeben im Theater Drachengasse in Wien seine Uraufführung gefeiert. Bei Rowohlt erschienen und mit dem Hamburger Literaturpreis ausgezeichnet, fasst das Drama eine Familie in ihrem urbanen Gefüge ins Auge. Eine Familie, die ganz zeitgenössisch in ihre Einzelpersonen zerfallen scheint: ein linksliberales Ehepaar, sie Soziologin mit transkulturellen Aufgaben (Zeynep Buyraç), er Anwalt (Thomas Kamper), und eine Tochter aus erster Ehe, ein Fridays-for-Future-Kind (Ylva Maj).
Halbierte Bühne
Ihr Lebensalltag, aber auch die Passwörter ihrer jeweiligen Endgeräte trennen ihre Welten. Nur einer glaubt, er stehe über allem, ein Bot, der Sätze ausspuckt wie; "Ich kenne dich besser, als nötig wäre." Als computergeneriertes Visual ist er in Sandra Schüddekopfs Inszenierung auf jene Wand projiziert, die den Theaterraum – so ist es im Stück vorgegeben – mittig teilt. Das Publikum sieht also nur je 50 Prozent und soll so die Erfahrung einer gespaltenen Gesellschaft machen.
Was im jeweils abgetrennten Bühnenteil geschieht, hört man nur (Bühne & Kostüme: Andrea Fischer). Das ist weniger aufregend, als es klingt, bespielt den Raum der Drachengasse aber optimal. Die Frau schlägt, um sich abzureagieren, in Internetforen um sich; der aufstiegswillige Mann gerät unabsichtlich in einen rechtsradikalen Elitezirkel; die Tochter zieht aus.
Der logistische Aufwand des Stücks (Raumteilung, Digitalität, Synchronizität) beschwert die Inszenierung, die ihrerseits kluge Lösungen findet. Doch winkt hier auch etwas angestrengt der Zaunpfahl der medienkritischen Öffentlichkeit.
Der Standard, 5.3.2020
Unsere Angst ist bei uns sicher
Sicherheitswahn, Überwachung, politische Konfrontation – das Theater Drachengasse inszeniert Ulrike Syhas preisgekrönten Text “Der öffentliche Raum” über die Abgründe der Internetnutzung.
In Herr und Frau Markovics´ Leben hat sich in letzter Zeit einiges verändert: Nach einer Konfrontation mit einem geistig verwirrten Attentäter ist er von einem Sicherheitswahn besessen. Seine Frau wiederum verbringt nach ihrer Beurlaubung ihre Nächte in Online Foren. Als er von seiner Chefin zur Teilnahme an einem ominösen Club eingeladen wird und sie im echten Leben von einem ihr zuvor unbekannten Foren User verfolgt wird, müssen sie sich mit der Überwachung in der digitalen Welt auseinandersetzen.
Bei Eintritt wird das Publikum in zwei Gruppen geteilt: Während eine wie gewohnt im Zuschauer*innenraum vor der Bühne Platz nehmen darf, wird die zweite durch einen Hintereingang zur Spielfläche geführt. Diese ist durch eine Wand geteilt, sodass jede Gruppe nur eine Hälfte zu sehen bekommt. Die Dialoge finden immer im Wechsel auf einer der beiden Seiten statt, das Publikum hinter der Mauer kann dem Geschehen nur zuhören.
Die Abfolge der Gespräche ist so perfekt inszeniert, dass es zu keinen Überschneidungen beim Sprechen kommt und somit keine Seite einen Teil verpasst. Es ist zwar herausfordernd, einem Gespräch nur auditiv ohne das dazugehörige Bild zu folgen – genau dies aber repräsentiert unsere Kommunikation im “öffentlichen Raum” des Internets: Wir nehmen nur Äußerungen wahr, ohne uns ein Bild von dem*der Sprecher*in machen zu können. Dies kann unsere Interpretation des Gesprächsinhalts verzerren.
Auf der Zwischenwand kommt ein Internet Bot (ein automatisches Computerprogramm) zu Sprache, dessen Gestalt Saurons Auge aus Herr der Ringe gleicht. Der Bot wendet sich direkt an das Publikum, um es mit seiner unreflektierten Internetnutzung zu konfrontieren. Unterstrichen wird dies durch die schmerzhafte artifizielle Stimme. (...)
neue wiener.at, 4.3.2020
Häusliches Drama in Zeiten der Überwachung
In der Drachengasse wurde „Der öffentliche Raum“ von Ulrike Syha uraufgeführt, für das sie den Hamburger Literaturpreis erhielt. Ein Negativ-Szenario. Bedrohlich wirkt die Inszenierung aber nicht.
Man stelle sich vor, da will einer ins Theater, aber ehe der Abend beginnt, wird er bereits aus dem Kassenraum geführt. Das kann Besuchern in Wien derzeit in der Drachengasse passieren. Wer die Karten abgeholt hat, kriegt einen Sticker dazu, der sichtbar an die Kleidung geklebt werden soll. Circa die Hälfte der Besucher wurde bei der Premiere von Ulrike Syhas „Der öffentliche Raum“ mit dem roten Zeichen markiert, eine schwarz gekleidete Security-Mitarbeiterin bat sie per Megafon nach draußen. An der Hintertür des Theaters wartete eine zweite Uniformierte, mit Schlagstock und getönten Brillen. Das sollte wohl Respekt einflößen.
Die Zuschauer werden in den Saal gelotst, der geteilt ist. Vor der Tribüne nur eine schmale Bühne: Gummibaum, Bank, Barhocker, Staubsauger-Roboter, Kopfhörer an der Wand. Und ein Schild: „Run Forest Run!“ Geräusche lassen ahnen, dass hinter einer Schiebewand mit einer Durchreiche die andere Hälfte des Publikums sitzt. Wie in Platons Höhlengleichnis bekommt man nur einen begrenzten Teil fiktiver Wirklichkeit zu sehen. Ein Alarm geht los. Die Security deklamiert im Chor (man hört es auch von der anderen Seite): „Bitte, bewahren Sie Ruhe, die Lage ist stabil.“ Sanft aber bestimmt wird man in dieser Inszenierung von Sandra Schüddekopf auf ein Stück eingestimmt, das von Überwachung handelt, Neuen Medien und den Nöten einer Kleinfamilie. Ist es Zufall, auf der Seite des Mannes zu landen? Wurde auch das manipuliert?
Thomas Kamper spielt den Ehemann. Er erzählt von seiner Frau, die ihren Job verloren hat, von einem „Vorfall“. Warum redet erso laut? Auch die andere Seite soll informiert werden! Deutlich hört man zugleich seine Frau (Zeynep Buyraçs) hinter der Wand. Die Tochter aus erster Ehe (Ylva Maj) taucht auf, sie will demonstrieren gehen. Für den Wald. Schließlich wechselt das Paar die Seiten. Nach und nach erfährt man vom Schicksal der Familie. Er träumt vom Aufstieg, gerät in rechtsextreme Kreise, die Gattin verirrt sich mehr und mehr im Netz. Dort herrscht ein Anonymus mit Roboter-Stimme. Auf Videos an der Schiebewand sieht man, wie Botschaften getippt werden und die Frau surft. Durch die Durchreiche und schließlich auch durch einen Spalt in der Wand ist zum Teil zu erkennen, was drüben passiert.
Das häusliche Drama ist schlicht inszeniert, bedrohlich wirkt das Negativ-Szenario nicht, obwohl das fünfköpfige Ensemble konzentriert und engagiert spielt. Dem Text fehlt ein wenig Schärfe, es mangelt an starken Überraschungen. Ja, wir stehen alle unter Beobachtung, die Arbeitswelt kann grausam sein, die Jugend rebelliert für eine bessere Welt. Was hier aber heimliche Verabredungen sollen, ob es um ein Attentat oder seine Verhinderung geht, bleibt vage. Die Lage: stabil im Diffusen. Selbst wenn am Ende Anonymus behauptet, er sei einer von uns, beunruhigt das nicht sonderlich. Gut gemacht, aber nicht mit letzter Konsequenz.
Die Presse, 6.3.2020
Ulrike Syha gewinnt mit ihrem Theaterstück »Der öffentliche Raum« den Hamburger Literaturpreis 2019
»DER ÖFFENTLICHE RAUM porträtiert eine Stadtgesellschaft, die in vielen Fragen gespalten ist. Die Fronten scheinen sich immer weiter zu verhärten. Gräben tun sich auf zwischen denen, die Sicherheit für das höchste Gut halten, und denen, die in dieser Tendenz eine gefährliche Militarisierung ihres privaten und öffentlichen Lebens sehen, eine Ausgrenzung anderer.«
Laudatio
»Wer ist das eigentlich, diese Öffentlichkeit?«, lässt die Dramatikerin Ulrike Syha eine ihrer Figuren sagen, »und warum bitte ist sie so verdammt empfindlich?« Syhas Theaterstück »Der öffentliche Raum« fordert eine besondere Bühnenaufteilung: eine Wand in der Mitte, die Zuschauer sollen jeweils nur einen Teil des Geschehens sehen können. Eine Regieanweisung, die sofort klar macht, worum es in diesem Text geht: um eine gespaltene Gesellschaft, um eine Debatte, die sich immer mehr auf zwei Fronten zuspitzt und in der die eine Seite die Position der anderen gar nicht mehr sehen kann oder will. In Syhas Stück zieht sich diese trennende Wand sogar durch eine Familie: Der Mann wurde Zeuge eines Überfalls auf einen Linienbus und verrennt sich seitdem in einem paranoiden Sicherheitsbedürfnis, seine Frau ist frustriert von der Wirkungslosigkeit ihrer interkulturellen Arbeit für eine Stiftung und trollt deshalb in Internetforum herum, die pubertierende Tochter ist derweil auf der Klima-Demo. Die Jury findet: ein originell umgesetzter und vor allem höchst aktueller Stoff, der die großen Fragen nach den Regeln unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens im konkreten wie auch im virtuellen öffentlichen Raum behandelt und zeichnet Ulrike Syha deshalb mit dem Hamburger Literaturpreis 2019 in der Kategorie Lyrik, Drama und Experimentelles aus. Judith Liere