Marinas letzte Briefe
- Stück für Zwetajewa
- Katharina Tiwald
- leuchtkraft und Theater Drachengasse
- Bar&Co
- 29. April –11. Mai 2019, Di-Sa um 20 Uhr
Wenn einem der Tod doch nur nicht die Zunge nähme.
Wir befinden uns im verdunkelten Versammlungsraum des in Evakuierung befindlichen Moskauer Schriftstellerverbands in der sowjetischen Pampa – Tschistopol in der Tatarischen Sowjetrepublik. Es ist August1941, Nacht. Die große, geächtete Dichterin Marina Zwetajewa, der vom Schriftstellerverband selbst eine Anstellung als Tellerwäscherin verwehrt wird, lässt ihr Leben in Briefform Revue passieren. Ein dichtes Wortportrait einer der größten Poetinnen des 20. Jahrhunderts entfaltet sich. Das Portrait einer Frau, die an den Rand des Menschenmöglichen gegangen ist, um die Ihren in hochprekären Zeiten zu beschützen.
Ein kulinarisches Hörspiel als Theaterstück.
Und was ist/ein Gedicht?/Dicht Ich, gegangen,/und Laut an Laut gestickt.
Die russische Dichterin Marina Zwetajewa kehrt 1939 aus dem Exil in die Sowjetunion Stalins zurück. Kurz nach ihrer Rückkehr sind Mann und Tochter verhaftet und Moskau unter Bombenhagel. Schriftsteller*innen werden in die Provinz evakuiert. So auch Zwetajewa, die ein Leben der Entbehrung, des Fremdseins, der Härte gewohnt ist. Marina Zwetajewa gehört heute zu den bedeutendsten russischen Lyriker*innen des 20. Jahrhunderts, nicht zuletzt bekannt durch ihren Briefwechsel mit Rainer Maria Rilke.
Text: Katharina Tiwald
Regie: Julia Nina Kneussel
Regieassistenz: Olivia Poppe
Multimedia: Georg Müllner-Fang
Es spielt: Suse Lichtenberger
Dank an Gudrun Lenk-Wane
und an: Österreichisch-Russische Freundschaftsgesellschaft (ORFG)
Das Projekt wird gefördert von Kultur Burgenland.
Kartenpreise: Alle Preiskategorien werden um einen Euro erhöht:dafür gibt´s während der Vorstellung eine kleine kulinarische russische Kostprobe.
Schwere schwingt im schwebenden Spiel mit
„Marinas letzte Briefe - Poem für Zwetajewa“ im Theater Drachengasse - mit gemeinsamen Borschtsch-Essen.
Die Schauspielerin bespielt in diesem Stück praktisch den gesamten Raum von „Bar&Co“, dem kleineren der beiden Säle des Theaters Drachengasse in der Wiener Innenstadt. Und sie lässt einen Text lebendig werden, der nicht leicht zu spielen ist. „Marinas letzte Briefe - Stück für Zwetajewa“ ist eine poetische Schilderung und Würdigung des Lebens und Wirkens der russischen Lyrikerin Marina Iwanowna Zwetajewa (1892 - 1941).
Spiel mitten im Publikum
Das Publikum sitzt links und rechts einander gegenüber, einige Plätze sind auch auf der Bühne. Suse Lichtenberger, die die russischen Lyrikerin spielt, kommt zuerst putzend in den Saal, schreibt mit Kreide „Du warst klein, ich war jung“ auf den Boden. Verdunkelung, Alte Bilder, nachdem zuerst eingeblendet wird, dass das russische Zwet zu Deutsch Farbe, Blüte bedeutet. Sie - und das Publikum befindet sich sozusagen im verdunkelten Versammlungsraum des Moskauer Verbandes der Schriftsteller_innen im Jahre 1941, wegen der Bombardierung der Hauptstadt nach Tschistopol in der Tatarischen Sowjetrepublik evakuiert.
Lebens-Geschichte
Die schwierige, lyrische Sprache des Stücks verliert durch das gekonnte Spiel (Regie: Julia Nina Kneussel) ihre doch immer wieder vorhandene Schwere, scheint immer wieder eher zu schweben, wenngleich die Schwere des Schicksals der Lyrikerin Zwetajewa, deren Leben hier verhandelt wird, immer wieder mitschwingt.
Fast unübersetzbar
Obwohl die Lyrikerin zum Kanon russischer Literatur zählt, ist sie, wie selbst sehr kulturaffine Gäste der Premiere in dem kleinen Theater zugaben, hierzulande kaum bekannt. Die studierte Slawistin und mehrfach ausgezeichnete (Theater-)Autorin Katharina Tiwald hat in ihren lyrischen Text einige - von ihr übersetzte - Passagen aus Zwetajewas Schaffen eingebaut. Deren Gedichte seien aber nur schwer zu übersetzen, ja auch nachzudichten, so Tiwald zum KiKu. Während die auch hier bekanntere Anna Achmatova vor allem über Bilder erzählt, arbeitete Marina Zwetajewa in erster Linie über den Klang der Sprache in oft sehr knappen, reduzierten Formulierungen wobei sie mit gleich oder ähnlich klingenden Wörtern in verschiedenen Bedeutungen spielte, erklärt die Autorin.
Wortspiele
Das hat Tiwald in ihrem Text aufgegriffen, wenn sie vom Bär schreibt, der im Wort Gebären begraben liegt oder mit Wesen und Verwesen spielt. Oder wenn es um den Kern des Schaffens Zwetajewas geht: „Und was ist ein Gedicht? Dicht Ich, gegangen, und Laut an Laut gestickt. Gepresst. Gesteckt. Ich hab sie gestürmt, geentert, Buchstabenhaken; gebrüllt. Gewartet, Ersessen. Erliebt. Und völlig geschafft erschaffen. Im Stiftschaft gesteckt: mein Leben lang. Mein Leben.“
Heftiges Leben
Tiwalds Text erzählt gleichzeitig das bewegte, bewegende Leben der Lyrikerin, die nach 17 Jahren oft in bitterer Armut in Berlin, Prag und Paris 1939 in die Sowjetunion zurückkehrte, in der Stalins Geheimdienst-Schergen ihre Tochter und ihren Ehemann, glühende Kommunist_innen, verhafteten. Sie selbst mit vielen Schriftstellerkolleg_innen 1941 aus dem bombardierten Moskau nach Tschistopol (übersetzt sauberes Feld) evakuiert, bekam nicht einmal einen Job als Tellerwäscherin im nun dort angesiedelten Literaturverband. Ende August 1941 nimmt sie sich das Leben.
Gemeinsames Suppe-essen
„Marinas letzte Briefe“ - zwei an den Boss des Geheimdienstes, den berüchtigten Lawrenti Pawlowitsch Berija, in denen Zwetajewa bittet, wenigstens Tochter und Ehemann in der Haft besuchen zu dürfen, sind im Buch zum Stück (edition lex liszt) abgedruckt - macht nicht nur die russische Lyrikerin und ihr Leben bekannt(er), das Stück ist auch ein Erlebnis, ein Eintauchen - bis hin zum gemeinsamen Verzehr von Borschtsch. Die Autorin des Stücks hat Unmengen dieser typischen russischen Kraut- und vor allem Rote-Rüben-Suppe (vor-)gekocht.
kurier.at, kiku, 1.5.2019
Natürliche Töne für einen lyrischen Text
Wer sich mit der russischen Dichtkunst auskennt, hat mehr von diesem Abend. Für die anderen liegt ein kleines Glossar auf dem Zuschauersessel, nebst Borschtsch-Rezept. Mit "Marinas letzte Briefe" denkt sich die Russistin Katharina Tiwald in die Dichterin Marina Zwetajewa hinein. Kurz vor ihrem Selbstmord in der tatarischen Verbannung 1941 schreibt sie an alle und alles in ihrem vergehenden Leben: an ihren Mann, ihre Kinder, an Rilke, Stalin, das Deutsche an sich und so weiter. Regisseurin Julia Nina Kneussel und Solo-Schauspielerin Suse Lichtenberger finden natürliche Töne für den lyrischen Text, schreiben ihn über die ganze Drachengassen-Bar und erzeugen abwechslungsreiche Bilder. Borschtsch gibt's auch.
FALTER 19/19 vom 08.05.2019