Eine Frage der Einstellung
- Evelyne de la Chenelière und Daniel Brière
- Theater Drachengasse
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16. Jänner – 18. Februar 2012
Di-Sa um 20 Uhr
Eigenproduktion Theater Drachengasse
ER und SIE sind privilegiert aufgewachsen, überbehütet und nahezu unbemerkt: Die Mutter "macht in Kunst", der Vater bereist als Fotoreporter Krisenregionen, beide sind viel unterwegs. Den Geschwistern fehlt es an nichts, die Eltern bezahlen selbstverständlich Taschengeld, Hobbies, Moped, Reisen, Studium – und Therapie. Denn die Kinder werden, für die Eltern völlig unverständlich, zu militanten Tierschützern und bringen den Menschen nur zynische Verachtung entgegen ...
Eine groteske Geschichte um Werte, Normen und Ideale der modernen Kleinfamilie der Mittelschicht.
Böse Familienaufstellung
Im frankokanadischen Stück "Eine Frage der Einstellung" geht eine zerrüttete Familie ans Eingemachte: jetzt im Theater Drachengasse erstaufgeführt
Wien - Sie wollen "ein für alle Mal darauf verzichten, eine plausible Geschichte zu erzählen", postulierten Evelyne de la Chenelière und Daniel Brière zu ihrem Stück Eine Frage der Einstellung. Ein weiteres Ziel des frankokanadischen Autorenpaares war es, die thematischen Dauerbrenner des modernen Theaters zu meiden: Sex, Gewalt, Konsumgesellschaft. Bei der gelungenen deutschsprachigen Erstaufführung im Theater Drachengasse ist dann aber doch eine Geschichte zu finden, auch Sex und Gewalt sind Teile des Spiels.
So erzählt Eine Frage der Einstellung von einer Familie, bei der einiges im Argen liegt. Ausgangspunkt ist die Frage, wie aus den Kindern (Maximilian Spielmann, Sonja Pikart) terroristisch veranlagte Tierschützer werden konnten. In vielen, sich teilweise wiederholenden und spiegelnden Einzelszenen werden die vergangenen Jahre des gemeinsamen Familienlebens seziert, stets neue Katastrophen aufdeckend.
Der Vater (Jürgen Schüller) glaubt, seinen Nachwuchs von klein auf mit den verstörenden Früchten seiner Arbeit als Kriegsberichterstatter konfrontieren zu müssen. Die Mutter (Alexandra M. Timmel) "macht in Kunst" und kann dem Gatten Brote schmieren, ohne ihre Selbstbestimmtheit gefährdet zu sehen.
Das textlastige Stück lebt zwar primär von seinem scharfen Witz, Regisseur Günther Treptow gibt seinen Akteuren allerdings auch ausreichend Raum zu spielen. Die Geschwister umbalzen sich als fleischgewordene Inzestdrohung in einem fort, auch die Eltern lassen ihrer Aggression und ihrer Lust freien Lauf. Da heizen die kaputten Helden auf einem Motorrad durch die Nacht oder verwandeln sich gleich in Wölfe (Bühne und Kostüm: Werner Schönolt). Kurzweilig, aber nie oberflächlich überzeugt die Inszenierung so als eine schonungslose Komödie zum Fürchten.
DER STANDARD - Printausgabe, 24. Jänner 2012
Fremdbestimmte Selbstanbeter
Sie tun, was im Trend liegt: Sie sind gegen den Krieg und für die Freiheit der Kunst, sie sagen ihren
Kindern, dass sie sie lieben, doch alles nicht aus Überzeugung, sondern weil irgendjemand es irgendwann einmal so als richtig bezeichnet hat. „Eine Frage der Einstellung“ heißt die entlarvende Komödie von Evelyne de la Cheneliére und Daniel Briére, die jetzt im Theater Drachengasse zur deutschsprachigen Erstaufführung kam. Ein Ehepaar, ferngesteuert vom Zeitgeist, richtet die Kinder fast zugrunde. Als diese
erwachsen werden folgen auch sie dem Trend, auf der Strecke bleiben diesmal die Eltern. Dass man auch selbstständig denken kann, auf die Idee kommt keiner.
Günther Treptow inszenierte das erschreckende Stück brillant und facettenreich und führte Alexandra Maria Timmel, Sonja Pikart, Jürgen Schüller und Maximilian Spielmann zu überzeugenden schauspielerischen Leistungen.
Wiener Zeitung, 18.1.2012
Zählt was im Leben?
"Eine Frage der Einstellung" derzeit im Wiener Theater Drachengasse
So viel reden, auch so manches sagen, aber gleichzeitig zwischenmenschliche Sprachlosigkeit – das ist selten wo anders so dicht eineinhalb Stunden lang zu erleben wie in "Eine Frage der Einstellung", das derzeit im Wiener Theater Drachengasse (bis Mitte Februar) läuft.
Da ist die Kunst-Business-Lady, die sich damit brüstet, immer wieder auch aneckende junge Künstler zu fördern. Verheiratet mit einem Fotografen, der sich am liebsten in Krisengebieten herumtreibt, um die Welt über diese Grausamkeiten aufzuklären. Zwei jugendliche Kinder. Am ehesten findet noch wirkliche Kommunikation zwischen diesen beiden – als "SIE" und "ER" tituliert – statt. Mit einer Fahrt auf dem Motorrad der beiden beginnt das Bühnenstück – zwischen zwei Screens – die Straße vor und hinter ihnen. Auf dem Weg zu einer Aktion radikaler Tierschützer. Zehntausende Liter Schweineblut wollen sie ins Trinkwasser lassen, um die Menschen aktionistisch betroffen zu machen.
Parallel-Aktionen der Eltern gegen Ende des Stücks. Auch da scheinen sie miteinander zu sein. Ansonsten Begegnung in der – reduziert stilisierten – Wohnung in wechselnden Besetzungen – Mal Schwester und Bruder, Mal Frau und Mann, mal alle vier, mal ein Elternteil mit Kind(ern).
Vom schon angesprochenen und gleich zu Beginn präsenten Tierschutz, der Frage, ob Menschen bessere Lebewesen seien über Menschenrechte, nicht zuletzt ausgehend von den grauenhaften Bildern im Berufsalltag des Vaters/Ehemanns, gesellschaftliche Bedeutung von Kunst bis hin zu sozialer Gerechtigkeit, "Gürtel enger schnallen"…
Kaum ein wichtiges Thema das in "Eine Frage der Einstellung" nicht aufgeworfen wird. Und jene zentrale der zwischenmenschlichen Kommunikation ist – unausgesprochen – ständig präsent auf der Bühne des Theaters Drachengasse.
KIKU, 20.1.2012
Kulturtipp - Theater Drachengasse bringt "Eine Frage der Einstellung"
Familienleben ist nicht immer ein Honiglecken. Daran erinnert bis Mitte Februar wieder einmal das Theater Drachengasse, dessen neueste Produktion "Eine Frage der Einstellung" kürzlich seine Premiere feierte.
"Eine Sache der Einstellung" wurde 2009 in Saarbrücken mit dem Primeurs-Autorenpreis ausgezeichnet.
Die Mutter (Alexandra Maria Timmel) macht unter der Regie von Günther Treptow "auf Kunst", der Vater (Julian Schüller) verdingt sich als versessener Kriegsreporter, die Kinder (Sonja Pikart, Maximilian Spielmann) verwahrlosen schön langsam trotz aller elterlichen Großzügigkeit. Evelyne de la Chenelières und Daniel Brièrs Stück, welches 2009 in Saarbrücken den Primeurs-Autorenpreis erhielt, geht in der Drachengasse rasch zur Sache: Die Szenen des 90-minütigen Stücks gehen bruchlos ineinander auf, die Entwicklung des Geschwisterpaares auf ihrem Weg zu militanten Tierschützern entbehrt nicht der Komik, wie auch die Prämierung der väterlichen Kriegsbilder sarkastische Schlagseite hat.
Wenn am Ende die kunstbeflissene Mutter ihren Mann darum ersucht, für einen jungen unbekannten Künstler "ein paar Knochen aus dem nächsten Kriegsgebiet mitzunehmen" wird klar, dass auch die klassische Familie längst von der Zynismus-Welle betroffen ist.
http://www.wien.gv.at/kultur-freizeit, 18.1.2012