piece of love

  • von ZAK I zentrum für antidisziplinäre kunst
  • Uraufführung
    Eine Koproduktion mit Theater Drachengasse
  • Theater Drachengasse
  • 15. Jänner – 3. Februar 2024, Mi-Sa um 20 Uhr

piece of love ist das Produkt einer kollektiven Knochenarbeit: Lustig und sinnlich, abgründig und trancehaft  die AmenoGirls sind in die Venusfalle getappt und finden sich im Tête à Tête auf einer Pyjamaparty wieder. Der Geruch von Popcorn penetriert das Theater.

Der HotBus manövriert auf einer schwindelerregenden Bergstraße. Das Panorama überwältigt die nichts ahnenden Passagiere und führt sie in den Sehnsuchtsort. In einem CarCrashCommercial umkreist der BlumenChor die Venus in einem traditionell anmutenden Balztanz. Derweil lassen sich die Passagiere in der BloodyBathBar Kaiserschmarren wie ein Stück Wirklichkeit auf der Zunge zergehen.  

Popkulturelle Phänomene treffen auf antike Urgöttinen in Merch Couture, den dröhnenden Soundtrack liefert eine Jukebox auf Rollen. Die dicke Bardame krächzt, das Publikum schreit und fragt sich: What’s love got to do with it?

piece of love entsteht durch eine Serie an offenen Ateliers im ehemaligen Nachtlokal Tête à Tête, das zum zentrum für antidisziplinäre kunst, sponsored by Muldengold, umgedeutet wurde. Durch die kollektive Erforschung von Liebe als künstlerischer Praxis entsteht ein antidisziplinäres Gesamtkunstwerk.

Ö1 BEITRAG

Ein Projekt von Michaela Altweger, Desi Bonato, Jessica Comis, Aurelia van Kempen, Antonia de la Luz Kašik, Eva Sommer

Dauer: ca. 80 Minuten

piece of love - Theater Drachengasse Wien

Das Gelbe vom Ei

Was ist das hier für ein Theater? könnte man angesichts der Veranstaltung in der Wiener Drachengasse fragen. Die Bühne wurde nämlich von einem Zentrum für antidisziplinäre Kunst geentert. ZAK  heißt das system- und genresprengende Frauenkollektiv. 

Wer findet, dass das Theater in einer Sackgasse steckt, hat in Wien zumindest in einem Fall recht. Biegt man vom Fleischmarkt in der Innenstadt in die Drachengasse ein, kommt man nicht weit und schon gar nicht raus. Man landet in einem Theater, das trotz aller Enge Platz für zwei Spielstätten bietet: eine Bar mit Bühne und den länglichen Hauptsaal, in dessen kurze Enden schräg je eine Publikumstribüne gepfercht ist. 

Und dann kommt da so ein Kollektiv daher und sprengt die räumlichen Grenzen. 2020 gründete eine Handvoll junger Frauen ZAK | zentrum für antidisziplinäre Kunst. Ihr Entwurf "UFO | ultra fett original" gewann den jährlichen Drachengasse-Nachwuchswettbewerb, die Produktion wurde in der Bar umgesetzt: eine Hommage an das Schnitzel in Form einer Modeschau-Messe/Panier-Performance mit florentinaholzingerscher Street Cred, die laut "Standard“ erahnen ließ, "was am Theater noch alles möglich ist“.

Gemälde aus Schamhaaren

Nach "UFO“ bezog ZAK für ein Jahr den ehemaligen Nachtclub Téte-à-Téte hinter dem Wiener Gürtel und hielt dort offene Ateliers ab. Das hier Entstandene speist nun die zweite ZAK-Arbeit im Theater Drachengasse, diesmal auf der (etwas) größeren Bühne. Wobei spätestens wenn "piece of love“ in ein DJ-Set nebst Merch-Verkaufsangeboten übergeht (und es gibt jede Menge Merch, zum Beispiel überdimensionale Knochen und Zigaretten aus Stoff), klar wird, was "antidisziplinär“ hier meint: dass, Theater hin oder her, die Kunst sich nicht in irgendwelche Genregepflogenheiten hineindisziplinieren lässt. Verbeugt wird sich am Ende zum Beispiel nicht, dafür heißt es: "Die Ausstellung ist eröffnet!“ Eben jene Ausstellung, durch die das Publikum anfangs eine Viertelstunde mit Saalplan und Titelverzeichnis ausgestattet flanierte, bevor es sich zu den Plätzen begab. 

Unter den 21 Exponaten finden sich Super-8-Filme und Kalender, Gemälde aus Schamhaaren oder Büroordnerklammern, zusammengeklebtes Geschirr und etliche Persiflagen des Shell-Logos, mit den Farben des Unternehmens, aber in Herzchen- oder Schmetterlingsform und mit dem Branding von ZAK. Vor allem aber wurde in der speziellen Kombination aus Gelb und Rot praktisch der ganze Saal gestrichen, sie prägt auch eines der Kostümbilder: Mit geschwungenen Schuhspitzen, helmartigen Mützen und Capes, die die Brüste der Performerinnen zwar meist verdecken, aber auch klar machen, dass ihnen das nicht besonders wichtig ist, präsentieren sie sich wie die sexy Version der Schweizergardisten im Vatikan.

Amüsierte Entgeisterung

Warum Shell, warum die Uniformen? Fragen Sie nicht. Aber: Ja, performt wird auch. Nur ist das, was da abgeht, schwer zu beschreiben, ohne dass die Lesenden ihm fatalerweise Bedeutung beimessen und es folglich für bescheuert halten. Da wird Jessica Comis im dunklen Schlangenlederkleid von ihren Blockflöte spielenden Kolleginnen "beschworen“. Zuschauer:innen erhalten Lätzchen umgehängt oder Riesenherzen aus Holz auf den Schoß gelegt und sollen diese dann schwenken.

Die wechselnde Gastperformerin (bei der Premiere die 63-jährige Künstlerin Michaela Altweger) kriegt als Belohnung dafür, dass sie gerade noch als Zigarettenmaskottchen auftrat, rituell die Füße gewaschen. Ein Bloody Mary entsteht unter Mithilfe zweier Zuschauerinnen, die Eiweiß schlagen – der dazugehörige Dotter wanderte zuvor durch alle Performerinnenmünder, ja, es ist, was soll man sagen, alles ziemlich gaga. Man stelle sich dazu die amüsierte Entgeisterung des nicht gerade Avantgarde-geschulten Drachengasse-Publikums vor.

Erfrischender Überfluß

Aber das ist auch gerade das Wunderbare. Gewiss hat jedes Teilelement dieser "sozialen Skulptur“ (wieder Pressetext) einen erklärbaren Sinn in der einjährigen Nachtclub-Residency. Doch auch ohne den zu kennen, darf man fasziniert lachend die Stirn runzeln und anerkennen, dass hier zwar Freiheit regiert und das in erfrischendem Überfluss, Faulheit aber nichts zu suchen hat.

Die tänzerischen Bewegungen von Desi Bonato und Aurelia van Kempen wirken exakt aufeinander abgestimmt und durchgeprobt, ganz schön diszipliniert für antidisziplinäre Künstlerinnen. Und wenn selbst die Blätter eines kurz durchgetragenen Ventilators im gleichen Rosaton glänzen wie der Woll-/Plüsch-/Frotteerock der Gastperformerin, dann ist das sicher kein Zufall. Überhaupt hat man bei jedem neuen Kleidungsstück, jedem Objekt, das da jetzt auch noch hereingetragen wird, das Gefühl, so etwas in der echten Welt noch nie gesehen zu haben. 

Mit so viel Ignoranz gegenüber Konventionen schafft es das Theater aus jeder Sackgasse.

nachtkritik.de, 16. Januar 2024


Bordellrecherchen ergeben Theaterstück "Piece of Love"

Das Zentrum für antidisziplinäre Kunst (ZAK) macht aus bildender Kunst und Performance eine Show in der Wiener Drachengasse

Sie nennen sich Ameno-Girls und tragen kleinflächige Knautschlack-Outfits in Rot-Gelb: Aurelia van Kempen, Desi Bonato, Jessica Comis und Eva Sommer (v. li.). Dass sie hier "Knochenarbeit" leisten, sieht man an der Form ihrer Hosenträger.

Eines der Gauklersymbole, die sich die Performerinnen von ZAK (Zentrum für antidisziplinäre Kunst) maßgeschneidert haben, ist der vorn an den Zehen zu einer Spitze lustig aufgerollte Gauklerschuh. Aber weil es sich beim ZAK-Ensemble um keine gewöhnlichen Gauklerinnen handelt, erkennt man hier am Schuh bei genauer Betrachtung eine sich provokant aufrichtende Schlange. Gift wird dennoch nicht verspritzt. Vielmehr ist das neue Stück Piece of Love im Theater Drachengasse ein heiteres Sammelsurium von bildnerischen Artefakten, die von den vier Performerinnen plus jeweils einer Gastperformerin stolz zur Schau gestellt werden.

Kein Wunder, sind die Exponate doch im Verlauf einer einjährigen Nutzung des ehemaligen Wiener Bordells Tête-à-Tête entstanden und dementsprechend umfänglich. Sogar die Backstage-Räume des Theaters mussten dafür geöffnet werden. Bevor es losgeht, spaziert das Publikum also erst einmal durch eine Ausstellung. Und sieht Dinge, die dann bei der Performance zum Einsatz kommen. Dazu gehören etwa Hühnerhaut-Handtaschen (eh aus Latex), die die bildende Künstlerin und ZAK-Heroin Aurelia von Kempen kreiert hat.

Theaterferne Veranlagung

Auch Jessica Comis ist Akademie-Studentin und begreift Performance als idealen Vermittlungsweg für ihre bildnerischen Ideen. Das Besondere an ZAK ist also die theaterferne Veranlagung, das Ignorieren aller Codices und Gewohnheiten der Theaterbühne, um bildender Kunst im weiteren Sinn Raum zu verschaffen. Dabei täte ein dramaturgischer Blick noch ganz gut. Zu viert – mit Desi Bonato und Eva Sommer – formieren sie sich als Ameno-Girls, die eine dem Branding des Erdölkonzerns Shell (Muschel!) ähnelnde Fantasiewelt in Gelb-Rot bewohnen.

Ist das Kritik an kapitalistisch getriebener Rohstoffausbeutung (synchron zur Liebesausbeutung im Bordell)? Zumindest ist sie noch nie so provokant arglos dahingeplätschert, eingerahmt von Pyjamaparty und Bloody-Mary-Mixen plus frohlockendem Soundtrack.

Außenstehenden, die nicht in der Tête-à-Tête-Bar dabei waren, muss vieles rätselhaft erscheinen. Denen bleibt immerhin die aus Pappwänden errichtete "Tête Modern" (haha) – und das Programmheft. Piece of Love erinnert an Theaterinstallationen im Stile Vegard Vinges, minus Schrecken und minus Dauer. Das heißt, man sollte dranbleiben.

Der Standard, 19.01.2024


Aktuell im Theater: Die 10 besten Bühnenstücke

Und wo bleibt die Liebe?

Das Theater Drachengasse startet mit einem Stück der Performance-Gruppe Zentrum für antidisziplinäre Kunst ins Jahr, das dem Anspruch antidisziplinär alle Ehre macht. In „Piece of Love“ gibt es allerhand Symbolisches: von Eiern und Knochen bis zu einer rituellen Fußwaschung und Beschwörung. Was das mit Liebe zu tun hat, bleibt unklar, doch eines sticht hervor: Hühner dürften in der Welt der Performerinnen, die sich hier Amenogirls nennen und tolle Kostüme tragen, eine wichtige Rolle spielen. Eine Metapher für Fruchtbarkeit? Wie so oft scheinen feministische Ideale auch hier aufs Biologische reduziert und glückliche Gewinner:innen aus dem Publikum werden schnell zu Zwangsbeglückten, wenn sie auf der Bühne einen zweifelhaften Trank einnehmen dürfen.

FALTER, Nr. 4/24


Spielplan Januar 2022