Das weiße Dorf

  • Teresa Dopler
  • Theater Drachengasse
  • Am 29. Jänner um 20 Uhr zeigen wir einen Mitschnitt der Aufführung als Video on demand.
    Tickets: www.eventbrite.de
    Kartenpreis: € 10.-

    Wir planen eine Spielserie im Jänner 2022 - hoffentlich dann ohne Einschränkungen durch die Covid-19-Pandemie.
  • Aufgrund der aktuellen Entwicklung der Covid-19 Pandemie sind alle Termine abgesagt.

















 



dass uns beiden alles so gut gelungen ist, das ist ein großes Glück

Ein Kreuzfahrtschiff am Amazonas, an Deck begegnen sich Ivan und Ruth wieder. Zwei junge, erfolgreiche Menschen, beide sind mit ihren jeweiligen Partnern unterwegs. Während man an der Reling steht und auf die vorbeiziehende Landschaft schaut, spricht man zunächst über die Karriere und den reibungslosen Service an Deck. Das feuchte Klima drückt, man scherzt und ergeht sich in Lobreden über die gelungenen Lebensentwürfe.

Immer wieder treffen Ivan und Ruth einander an Bord dieses Schiffes, zuerst scheinbar zufällig, dann bewusst. Es knistert, sie flirten und bestätigen sich gleichzeitig, dass es nichts zu bedeuten hat, sie sind abgeklärt und können über alles lachen. Dennoch regt sich etwas in den beiden, es ist die Sehnsucht nach dem anderen, und vielleicht auch der Wunsch nach etwas, das diese glatt angelegten Leben übersteigt ...

Autor*innenpreis Heidelberger Stückemarkt 2019

Regie: Valerie Voigt
Bühne, Kostüme: Thomas Garvie
Choreografie: Karin Pauer
Musik: Scott Douglas Gordon
Regieassistenz: Theresa Kraus
Es spielen: Johannes Benecke, Naemi Latzer, Hugo Le Brigand, Julia Müllner

Rechte bei Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH


HÖRBEISPIEL

Uraufführung
Alles im Lot: Teresa Doplers "Das weiße Dorf" in der Drachengasse

Ein Ex-Paar ringt mit seiner Leblosigkeit. Die Uraufführung im Theater Drachengasse wird am 29. Jänner als Videomitschnitt gezeigt.

Sage noch einer, die Zeit der Dialogstücke am Theater wäre vorbei. Figuren zerbröseln zwar in vielen zeitgenössischen Dramen vor unseren Augen und mit ihnen das soeben Gesprochene. Doch während die Realitäten auf den Bühnen gern unzuverlässig werden, erblühen an anderer Stelle die brillantesten Gespräche zwischen Menschen aus Fleisch und Blut. In Teresa Doplers Zweipersonenstück Das weiße Dorf beispielsweise.

Die 1990 in Oberösterreich geborene Autorin, Absolventin des UniT-Lehrgangs "Forum Text", lässt es im Dialog eines ehemaligen Liebespaars, das sich nun zufällig wiederbegegnet, nur so knistern. Es knistert hier aber keine Romantik, sondern es knistern die Maskierungen der Perfektion.

Ivan und Ruth sind so sehr auf Souveränität getrimmt, dass einfach nichts schiefgehen kann – und darf. Vor einigen Jahren führten sie eine Beziehung, doch dann ging Ivan zwecks Aufstiegs nach Amerika, verließ Ruth, und sie suchte sich dann einen neuen Freund. Nun befinden sich beide mit ihren aktuellen Lebensgefährten an Bord eines Kreuzfahrtschiffes, das nobel über den Amazonas gleitet.

Zelebrierte Mimik

Teresa Dopler zeigt zwei Menschen, die mit dem Wappnen ihres Lebens so beschäftigt sind, dass nichts mehr an sie herankommt, auch nicht die brasilianische Urwaldschönheit. Sie polieren ihre Oberflächen – entlang eines fabelhaft einfachen Dialogs, der sich vor lauter Freundlichkeit am Ende beklemmend im Nichts auflöst.

Valerie Voigts Uraufführungsinszenierung im Theater Drachengasse bringt dieses Uneigentliche der Protagonisten hervorragend zur Geltung. Ruth (Naemi Latzer) und Ivan (Johannes Benecke) stehen an der imaginierten Reling und zeigen die schönsten Manierismen von Menschen unter Dauerselbstkontrolle: eine zelebriert offenherzige Mimik, gut eintrainierte Gelassenheit, selbstoptimierte Posen und eine erstklassige Aussprache voller unaufdringlicher Selbstsicherheit.

Liebes-Smalltalk

Es ist wie ein ewiger Smalltalk der Liebe, in dem höflich abgewogen wird, bis alles im ewigen Lot ist. Man pflichtet einander bei, und am Ende jeder Einigung wird gelacht. Und obwohl die beiden voneinander immer noch angezogen sind, wird es am Ende gut gewesen sein, sich damals getrennt zu haben. Einfach deshalb, weil falsche Entscheidungen nicht ins Lebenskonzept passen. Die Schauspieler meistern das glänzend, ihre Bewegungen und Gesichter sind spannendes Falschspielerterrain. Als Antipoden zur Seite gestellt ist ihnen ein im knöcheltiefen Amazonas-Wasser (Bühne: Thomas Garvie) tänzelndes Paar (Hugo Le Brigand, Julia Müllner) als alternativer Entwurf zu ihnen.

Junge Erwachsene im Ich-Komplex gefangen: Das galt schon für Doplers Debüt Was wir wollen, uraufgeführt am Landestheater Innsbruck. Für Das weiße Dorf erhielt sie 2019 den Autor*innenpreis des Heidelberger Stückemarkts. Im März folgt in St. Pölten Monte Rosa. Es gilt ein Talent zu entdecken: Dopler erfasst die Dilemmata europäischer Privilegierter in unangestrengten Dialogen und in aller Schärfe.

DerStandard, 20.1.2021


Theater im Lockdown: Unerfüllte Erfüllung
Gelungene Uraufführung im Theater Drachengasse.

Der "große" Saal des Theaters Drachengasse ist schwer zu bespielen Mit der aktuellen Eigenproduktion, der Uraufführung von Teresa Doplers "Das weiße Dorf", ist in dieser Hinsicht schon mal ein feiner Glücksgriff zum 40. Gründungsjubiläum gelungen: Ein Wasserbecken, das bis auf einen schmalen Steg den gesamten Bühnenraum einnimmt und die Form einer Flussmündung zitiert, wird zum Sehnsuchtsort der beiden Protagonistinnen, denen Regisseurin Valerie Voigt nahezu die gesamte Spieldauer lang zwei stumme Wasser-Tänzerinnen (Choreografie: Karin Pauer) an die Seite stellt.

Auf einer Amazonas-Kreuzfahrt begegnen einander Ruth (Naemi Latzer) und Ivan (Johannes Benecke) nach mehreren Jahren unerwartet wieder. Einst harmonisches, zielstrebiges Jungpaar, reisen sie nun mit ihren neuen Partnerinnen. Beide haben die Karrieren eingeschlagen, von denen sie geträumt und an denen sie konsequent gearbeitet haben. Aus der einstigen Nähe ist gut eingeübter Oberflächendiskurs geworden, nur selten biegen die Dialoge ab in den Ansatz persönlicher Gespräche, in denen für Sekunden etwas von Verlorenem und Sehnsucht mitschwingt, ehe eingeübt naive Lebensbeobachtungen die Figuren wieder auseinanderdriften lässt.

Wiener Zeitung, 20.1.2021


Balzen am Amazonas: „Das weiße Dorf“ im Theater Drachengasse

Hässliche neue Theaterwelt: Beim Einlass am ausgangsbeschränkungskompatiblen Spätnachmittag wird nach einem gültigen Coronatest gefragt, das Publikum sitzt im Schachbrettmuster und trägt FFP2-Masken. Gestern, Montag, gab es im Wiener Theater Drachengasse einen kleinen Vorgeschmack auf die Zukunft. Das Stück „Das weiße Dorf“ feierte als Presse-Premiere seine Uraufführung und wurde ostentativ akklamiert. Nur für den künftigen Zwei-Meter-Abstand muss noch nachjustiert werden.

Rund 25 geladene Gäste konnten nun also das 2019 mit dem Autor*innenpreis des Heidelberger Stückemarkts ausgezeichnete Stück der 1990 in Oberösterreich geborenen und in Wien lebenden Autorin Teresa Dopler erstmals auf der Bühne sehen. In Heidelberg war die geplante Uraufführung der Pandemie zum Opfer gefallen, und auch die Termine, zu denen die Inszenierung der Kärntnerin Valerie Voigt in Wien für „normale“ Zuschauer zu sehen sein wird, stehen nach der jüngsten Lockdown-Verlängerung noch nicht fest. Immerhin gibt die Theaterszene damit ein Lebenszeichen von sich: Schaut her, es gibt uns noch! George Tabori hat einmal versichert, Theater werde immer überleben, und sei es in den Katakomben. Danach fühlt es sich nun ein wenig an.

In diesen Katakomben galt es nun, Kreuzfahrt-Feeling herzustellen, auch etwas, was wohl noch längere Zeit nicht möglich sein wird. Doplers Stück spielt nämlich auf einem Kreuzfahrtschiff am Amazonas. Dort begegnen einander Ivan und Ruth wieder. Zwei junge, erfolgreiche Menschen, die einmal beinahe zusammen waren und einander karrierebedingt aus den Augen verloren haben. Nun sind sie mit ihren jeweiligen Partnern unterwegs - und genießen die Gespräche miteinander sehr. Die Partner bekommt man nie zu sehen. In Voigts Inszenierung könnten sie allerdings jenes Tanzpaar sein (Hugo Le Brigand und Julia Müllner), das sich langsam und wortlos in einem Wasserbecken in der Mitte des Theaterraumes bewegt, während auf einem kleinen Steg an der Stirnseite des Raumes Ivan und Ruth einen Dauer-Dialog absolvieren.

Überhaupt hat der 90-minütige Abend etwas stark Choreografisches: Voigt setzt sehr auf Stilisierung, auf Überhöhung, auf einen Rhythmus, der sich nicht nur in der Sprache, sondern auch im Körper ausdrückt. Es braucht recht lange, bis sich der Zuschauer daran gewöhnt hat. Dann hat aber auch der Text die Ebene der banalen Konversation verlassen und nimmt - während die Amazonas-Dörfer und Affen-Kolonien imaginär vorbeiziehen - Kurs auf Abtasten, Flirten, Anbahnen, Öffnen. Johannes Benecke und Naemi Latzer absolvieren den Balanceakt zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit ohne Absturz.

Im Zentrum steht der Schein, das Bild, das man für die anderen abgibt, und hinter dem erst ganz langsam und zögerlich der Blick auf das eigentliche Sein freigegeben wird. Da bleibt vieles in Schwebe. Offen bleibt leider auch die Frage, wann wieder gespielt werden kann. Fix dagegen ist: So einfach wird man nie mehr zu einer Amazonas-Kreuzfahrt kommen. Obwohl man zugeben muss, von der Landschaft rein gar nichts mitzubekommen. Ist ja aber auch ein verdammt breiter Fluss, dieser Amazonas...

APA, 19.1.2021


Alles im Griff auf dem sinkenden Beziehungsschiff

Vom bequemen Nickisuit übers Strickwesterl bis zu den Hausschlappen, rein nach den Kostümen von Thomas Garvie sind Darsteller wie Publikum modisch absolut Lockdown-up-to-date. Dass der Ausstatter auch tollkühn den kompletten Bühnenraum des Theaters Drachengasse geflutet hat, lässt sich Pandemie-bedingt nur via Bildschirm erleben. Ab heute, 20 Uhr, wenn die Drachengasse die Uraufführung von „Das weiße Dorf“ als Video on demand anbietet. www.mottingers-meinung.at sah sich den Mitschnitt vorab an.

Und siehe, während vielerorts Dramen zu Textflächen komprimiert und in diesen Charaktere zur Beliebigkeit gesplittet werden, findet hier Dialog statt. Ein höchst konkreter zwischen Ruth und Ivan, die beiden offenbar früher ein Paar, jetzt mit jeweils neuem Partner, neuer Partnerin auf Amazonas-Kreuzfahrt – und wie sich auf einem Schiff nicht ständig über den Weg laufen? An der Reling wie aneinander gekettet geht’s erst um die vorbeiziehende, den perfekten Service an Bord, später wird gelobhudelt über zwischenzeitlich gemachte Karrieren.

Doch plötzlich knattert’s und knistert’s, wird anfängliche Verlegenheit mit gemeinsamer Vergangenheit weggelacht. Ist das schon ein Flirt? Nein, da steht man doch längst drüber … Teresa Dopler gewann für ihr Stück den Autor*innenpreis des Heidelberger Stückemarkts 2019, Valerie Voigt hat’s nun inszeniert. Und Naemi Latzer und Johannes Benecke sind fabelhaft als Ruth und Ivan, die beiden lupenreine Bobos, die sich dies Echtheitszertifikat mit viel Polieren ihrer glatten Oberfläche erarbeiten.

Mit Allerwelts-Small-Talk kaschieren sie den gemeinsamen Imperfekt, lächeln nicht vergessen, positiv äußern, durch Nachfragen Interesse zeigen, Reaktionen interpretieren, das geht so weit, bis einen das Zuschauen schmerzt, und man sich fragt, wann diese Überfreundlichkeit in die Katastrophe kippen wird. Valerie Voigt bringt mit ihrer sich ganz auf die Schauspielerkraft und deren Sinn für Rhythmus verlassenden Arbeit das Impropre von Doplers Figuren auf den Punkt. Latzer und Benecke interpretieren dies mit Mimik und Gestik, sie machen ihre Körper zum Lügendetektor, der Ruths und Ivans Schönrederei in ihrer Falschheit entlarvt.

Ihre erwähnte glatte Oberfläche wird in der des knöcheltiefen schwarzen Wassers gespiegelt, fast fühlt man das feuchte Urwaldklima aufsteigen, und mitten drin Hugo Le Brigand und Julia Müllner als Gegensatz-Paar, sich – in einer Choreografie von Karin Pauer - umtänzelnd, sich umschlingend, Ruth und Ivan und wie es hätte sein können … Teresa Doplers "Das weiße Dorf" ist ein feiner Glücksgriff zum 40. Gründungsjubiläum des Theaters Drachengasse.

Die gebürtige Linzerin versteht es, den Weg eines jungen, modernen Europas auszuschildern, dessen Protagonistinnen und Protagonisten im steten Vorwärtsstreben vieles opfern, die Einsamkeit im Privaten, dieser Tage freilich virulent, ist bei Weitem kein Corona-Symptom, die im Ringen um „Authentizität“, heißt: Natürlichkeit, auf die Künstlichkeit eines sorgsam gebastelten Social-Media-Images setzen.

Auch via Bildschirm überträgt sich diese Atmosphäre, doch bleibt zu hoffen, dass die Drachengasse die Aufführung auch live zeigen kann. Bis dahin, heute Abend, 20 Uhr!

Mottingers-Meinung.at, 29.1.2021


Nichts im Lot auf dem Boot

Es wirkt wie aus einer anderen, längst vergangenen Zeit, was eben am Theater in der Drachengasse gezeigt wurde: In der Uraufführung von Teresa Doplers "Das weiße Dorf", das als Mitschnitt online zur Premiere gebracht wurde, trifft sich ein Ex-Pärchen auf einer Amazonaskreuzfahrt. Letztere sind ja derzeit streng verboten, wer es trotzdem wagt, wird mit der Regierungsmaschine "Heiko Maas" kostenpflichtig abgeholt (oder so). Und Ex-Pärchen laufen sich dieser Tage auch eher selten über den Weg, weil ehemalige Partner*innen in der Regel nicht zum eigenen Hausstand gehören und vermutlich auch die wenigsten sie als die eine Person auswählen, die man sonst noch sehen darf.

Großartig, dieser Dauerstress!

Aber wie dem auch sei, in "Das weiße Dorf" treffen sich also Naemi Latzer als Ruth und Johannes Benecke als Ivan zufällig auf einem Kreuzfahrtschiff am Amazonas. Das kann passieren, vor allem wenn man so extrem erfolgreich ist wie die beiden. Davon zumindest handelt ein Großteil des Gespräches, das sie, bei erst zufälligen, dann immer offensichtlicher absichtlich herbeigeführten Treffen an der Reling führen – die es nicht gibt, auf der (abgefilmten) Bühne von Thomas Garvie sieht man lediglich zwei Türen, dahinter Treppenstufen, davor ein schmaler Steg, auf dem die beiden stehen und in die Weite sprich ins (nicht anwesende) Publikum schauen. Der restliche Bühnenraum ist von einem Wasserbecken ausgefüllt, aber dazu später mehr.

Die beiden tragen Freizeitlook und seltsame Orient-Schlapfen, und die entspannte Kleidung (Kostüme: Thomas Garvie) beißt sich maximal mit der Anspannung der Körper, die darin stecken. Unter Zuhilfenahme hochgradig gekünstelter Gesten, grandios falscher, völlig übersteuerter Mimik und – vor allem im Fall von Naemi Latzer – einem tatsächlich wahnsinnig schönen, fast schon sympathisch gefakten Lachen erzählen die beiden einander davon, wie gut es ihnen nicht geht. Wie toll ihr Leben nicht ist, wie großartig der Dauerstress im Job und dass man auch im Urlaub ständig behelligt wird, das ist so wunderbar!, genauso wie ihre jeweiligen neuen Beziehungen. Alle sehen gut aus, führen tolle Gespräche und haben noch besseren Sex. Sie haben alles im Griff, stehen über den Dingen, mit Vernunft kann man alles lösen und hat außerdem noch den Vorteil, am Ende nicht blöd dazustehen. Und überhaupt, was kann schon wichtiger sein als der Beruf, die Karriere?! Eben.

Perfektionierte Fassaden

In Teresa Doplers wirklich feinem, mit dem Autor*innenpreis beim Heidelberger Stückemarkt 2019 ausgezeichneten Text Voigts gelungener Inszenierung wird natürlich schnell klar, dass doch nicht alles im Lot ist auf diesem Boot, sondern im Gegenteil unter dem manierierten Small-Talk tiefe Verletzungen liegen. Ihre beruflichen Pläne und die damit verbundenen Mobilitätszwänge hatten die beiden auseinander gebracht. Ivan ging nach Amerika, kam wieder zurück, und dann war man zwar zwischendurch in derselben Stadt, wusste auch davon, aber rief einander nicht an. So langsam kommen, sozusagen in den Pausen ihrer mit vollem Körpereinsatz gelieferten Selbstdarstellungsshow, echte Gefühle heraus, die Gesichter, die Stimmen werden plötzlich ganz nackt. Es sind die berührendsten, mit die besten Momente an diesem Online-Abend, wenn die beiden plötzlich ernst und verletzlich, wenn sie quasi "sie selbst" werden. Es ist da immer noch eine starke Anziehung zwischen ihnen, vielleicht sogar etwas wie Liebe. Kurz werden sie überlegen, ob sie nicht doch... – aber nein, irgendwann werden sie es vergessen haben, es wird besser sein, es ist nicht so wichtig.

Im Wasserbecken vor ihnen ist parallel dazu fast die ganze Zeit über ein weiteres Pärchen (Hugo Le Brigand, Julia Müllner) zu sehen, das, während Ruth und Ivan hüftsteif um Contenance ringen, geschmeidig im Wasser tanzt: Das Paar, dass die beiden sein könnten – oder vielleicht auch die Vorstellung, die sie sich von dem/der jeweils anderen und dessen/deren neuer/neuem Partner:in machen. Eine stimmige Idee, die im Kontrast noch einmal deutlicher macht, was Ivan und Ruth verloren geht bei all ihrem Souverän- und Überlegensein: Lebendigkeit.

Ob der Abend in Zukunft nochmals online, oder doch irgendwann live auf der Bühne zu sehen sein wird, ist noch unklar. Der Mitschnitt hat sein Gutes, durch die relativ nahen Aufnahmen sieht man die Gesichter deutlicher, auf denen sich ja letztlich die ganze Geschichte abspielt. Dafür wird der Blick auf das zweite, das tanzende Pärchen durch die Kameraperspektive gelenkt - während man sich in der Live-Situation aussuchen könnte, wohin man schaut; der Kontrast zwischen dem krampfigen Paar im Scheinwerferlicht, dem geschmeidigen im Dunkel des Wasserbeckens noch etwas deutlicher würde.

Es ist ein Abend über Beziehungen; über Menschen, die ihren Selbstschutz, ihre unangreifbare Fassade so perfektioniert haben, dass nichts sie mehr berührt, dass sie, wie es einmal so schön heißt, für Sehnsucht keine Zeit mehr haben. Man kann das kleinteilig, vielleicht auch belanglos finden in Zeiten wie diesen. Aber wie viel Nähe, auch wie viel Unsicherheit man zulässt – das wird eine Frage sein, die uns noch lange beschäftigen wird.

nachtkritik.de, 30.1.21


Spielplan Januar 2022