Lebensmenschen

  • Jurypreis des Nachwuchswettbewerbs 2019
  • Dino Pešut
    aus dem Kroatischen von Krešimir Bobaš
  • Bar&Co
  • 20. Jänner – 1. Februar 2020, Di-Sa um 20 Uhr






















Hätte ich gewusst, dass man eine schwarze Prinzessin sein kann, hätte ich meine Prioritäten etwas anders gesetzt.
 

SIE, eine schwarze Österreicherin. ER, ein schwuler Kroate. Beide wissen nicht, was der nächste Schritt in ihrem Leben sein wird, aber sie wissen, dass sich ihre Vorstellung von Intimität nicht in einer Kleinfamilie verwirklichen lässt. Im Spannungsfeld ihrer Freundschaft diskutieren sie familiäre Bindung, Schwulsein, Rassismus und erotisches Begehren. SIE und ER sind ein Mikrokosmos jener Möglichkeiten, die ein bestimmter historischer Moment zulässt: Eine schwarze Österreicherin und ein schwuler Kroate, die keine traditionelle Liebesbeziehung haben und erst recht nicht verheiratet sind, zeugen ein Kind.

Das von dem bemerkenswert diversen Projektteam präsentierte Stück thematisiert – ohne sich in Selbstreflexion zu erschöpfen – das Theater als Mind Opener einer weiß, heterosexuell und männlich geprägten Gesellschaft, in deren (Burg-)Mauer (um den Titel des Wettbewerbs aufzugreifen) zurecht mehr und mehr Risse kommen.
Aus der Begründung der Jury

Von und mit: Kira Lorenza Althaler, Markus Bernhard Börger, Camille Lacadee, Dino Pešut, Shahrzad Rahmani, Isabella Sedlak 

Das Projekt wird gefördert durch die Kulturabteilung des Magistrats der Stadt Wien.

Außenseiter-Duo spielt mit Vorurteilen und Klischees

„Lebensmenschen“: Siegerprojekt des zwölften Nachwuchsbewerbs nun als einstündiges Stück im Theater Drachengasse (Wien).

Im Hintergrund läuft – schon vor Beginn des Stücks – ein Video von den Hochzeitsfeierlichkeiten von Meghan Markle und Harry. Das war schon lange geplant, hat nichts mit der aktuell praktisch alle Medien überschwemmenden Berichterstattung über das Ende des Duos als „königliche Hoheiten“ zu tun. Letzteres schlägt sich nur am Ende des Stücks nieder – indem zwei Sätze gestrichen wurden und eine skeptische Bemerkung gegenüber Frau Markle den Schlusspunkt setzt.
Das Stück heißt „Lebensmenschen“, läuft nun im kleinen Weiner Theater Drachengasse und ist die Realisierung des siegreichen Nachwuchsprojekts aus dem Vorjahr (dazu mehr weiter unten). Grundgeschichte: Eine schwarze Österreicherin (gespielt von Kira Lorenza Althaler) und ein schwuler Kroate (Markus Bernhard Börger) leben in Berlin – gemeinsam in einer Wohnung und haben – bekifft – beschlossen, dass sie von ihm ein Kind will. Aber alles andere denn als Vater-Mutter-Kind zusammenleben wollen.

Schräge Ausgangsidee

Diesen Plott hat sich der oft zwischen Zagreb und Wien pendelnde Autor Dino Pešut ausgedacht und – auf Kroatisch – den Stücktext verfasst (Übersetzung ins Deutsch: Krešimir Bobaš). „Ich weiß auch nicht genau, irgendwann war diese Ausgangsidee da“, verrät er dem Reporter nach der Premiere. Jedenfalls sollten es zwei Außenseiter_innen sein, die im Laufe des Stücks über die Welt im Allgemeinen und sich selbst philosophieren, reflektieren, alles in Frage stellen und doch selbst immer wieder – trotz alternativer Ansprüche – auch in gängige Rollenmuster verfallen. Mehrmals treten sie auch aus ihren Rollen und kommentieren ihr eigenes Spiel/Verhalten.

Das Spiel der beiden durchzieht Selbstironie, Spiel- und Sprach-Witz. Womit sie viel leichter ein Überdenken eigenen Verhaltens anregen (können). Ob auch die - zugegeben für mich nicht nachvollziehbare - Faszination monarchischer Spektakel dazu zählt? Immerhin sahen so manche im Publikum vor Stückbeginn fast gebannt auf die Videos mit fast verzückten Ausrufen, wenn sie Berühmtheiten auf den bewegten Bildern erkannten.

Was wollen wir?

Beide bemitleiden sich selbst, die einzigen Menschen zu sein, die keinen Sinn im Leben haben oder finden würden. Eigentlich, so gesteht Kira, die IT-Expertin, wolle sie ein Kind ja nur, um ihre Jugend zu beenden und hoffe darauf, genau durch ein Kind Sinn und Verantwortung zu finden. Beide verabscheuen Kleinfamilien-Idylle, sind praktisch ohne Väter aufgewachsen, von denen sie aber die genetische Weitergabe von Krebs bzw. Alkoholismus fürchten, wollen sie auch unter keinen Umständen eine solche werden. Er müsse nur seinen Samen spenden, um sie zu befruchten. Doch darum geht’s im Stück immer weniger und auch nicht wirklich – sondern um das Ringen, die Suche nach Sinn und die Verzweiflung daran, keinen zu finden. Aber nicht wirklich (bier-)ernst, sondern sehr humorvoll (Regie: Isabella Sedlak).

Show-Einlagen

Dazu dienen nicht zuletzt mehrmals eingebaute ironische Gesangs-Show-Einlagen zwischen sieben (eine klassische Märchenzahl, Bühne & Kostüm: Shahrzad Rahmani) unterschiedlich großen Disco-Kugeln hinter dem durchscheinenden Vorhang, auf den die Videos (Camille Lacadee) projiziert wurden/werden.Die Meghan-Harry-Hochzeit im Mai 2018 stand Pate beim ersten Auftritt Kiras, einer IT-Expertin, die stoßseufzt: „Wenn ich gewusst hätte, dass auch eine Schwarze Prinzessin werden kann …“

Der Bewerb

Zum 12. Mal fand dieser Bewerb statt. 53 Projekte mit insgesamt 187 beteiligten Theatermacher_innen hatten Konzepte zum Thema „My home is my castle“ eingereicht, vier Finalprojekte durften/mussten im vorigen Mai jeweils 20-minütige Stückentwürfe vor Publikum spielen. Aus denen wählten die Juror_innen (Cornelia Anhaus/WerkX-Petersplatz, Kolja Burgschuld/Kurator der Stadt Wien, Anne Wiederhold/Brunnenpassage) eben „Lebensmenschen“ als bestes aus. Dass die Theaterlandschaft noch immer nicht so divers ist wie die Gesellschaft veranlasste die Jury offenbar auch zur Formulierung „bemerkenswert diverses Projektteam“ in ihrer Begründung.

Der Gewinn ist mit 5000 € dotiert und dem Auftrag, ein fertiges Stück zu entwickeln.

kiku, 21.1.2020


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