jenseits von fukuyama

  • Thomas Köck
  • Theater Drachengasse
  • 7. – 19. März und 30. März – 16. April 2016
    Di-Sa um 20 Uhr




















JAJA, NAJA, NA KLAR, WARUM NICHT, EIN KAFFEE AM VORMITTAG, UND SONST SO, DAS KIND, AUCH FIT? KANN SCHON ALLEINE HEULEN?
 

Am Institut für Glücks- und Zukunftsforschung kämpfen Peer, Finn und Julia um ihr persönliches Glück auf der Karriereleiter. Dafür nimmt Finn heimlich Bessermacher am Klo, Peer hetzt dauerlächelnd zwischen Fristen und Krisengipfel hin und her, und Julia übt sich widerstandslos in der Kunst der Doppeldeutigkeit. Aber hey, es macht Spaß.

Auch noch, als am Institut ein Datenleck entdeckt wird? Hochsensible Daten könnten draußen eine verheerende Wirkung entfalten. Institutsleiterin Dr. Phekta versucht vergeblich, die Glückswerte unter Kontrolle zu halten. Längst laufen sie Amok gegen weitere Berechnungen. So bleibt ihr nur, im Durchschnittsraum Schutz zu suchen. Während es zwischen ihren Mitarbeitern zum Showdown kommt, sitzt sie dort zwischen Angstattacken und Parkettimitat mit dem statistischen Durchschnitt auf der Durchschnittscouch. Und harrt der Zukunft, die draußen vor der Tür ein unberechenbares Eigenleben entwickelt.

HÖRPROBE
Interview Katharina Schwarz


Regie: Katharina Schwarz
Bühne, Sound: Samuel Schaab
Kostüm: Christina Helena Romirer
Regieassistenz: Natalie Assmann
Lichttechnik: Martin Schwab

Es spielen: Pilar Aguilera, Aleksandra Corovic, Johanna Rehm, Steve Schmidt und Dirk Warme

Rechte bei Suhrkamp Verlag Berlin

Dauer: 1:34

Angst ist ein schlechter Ratgeber

Hass und Neid, Besitzstandswahrung, Angst, Überheblichkeit und der Einsatz von Ellenbogen, all das sind Gefühle und nicht zuletzt Taktiken, die in diesem Drama vorkommen.

Osnabrücker Dramatikerpreis 2014, Stückepreis des Else-Lasker-Schüler-Dramatikerpreises 2015, Thomas-Bernhard-Stipendium 2015 am Landestheater Linz und das Wiener Dramatikerstipendium, Kleist-Förderpreis 2016. Wenn jemand in so kurzer Zeit so viele Preise und Stipendien erhält und noch dazu aus Österreich kommt, ist das eine besondere Erwähnung wert.

Der Ausgezeichnete ist Thomas Köck, 30 Jahre jung, und derzeit mit seinem Stück „jenseits von fukuyama“ im Theater Drachengasse vertreten. Demnächst wird im Volxs/Margarethen in Zusammenarbeit mit dem Max Reinhardt Seminar, Isabella H. (geopfert wird immer), ein weiteres Stück von ihm aufgeführt werden.

Der Titel „jenseits von fukuyama“ referenziert offensichtlich auf die Thesen des Politikwissenschaftlers Francis Fukuyama, der 1992 ein umstrittenes Buch mit dem Titel „Das Ende der Geschichte“ verfasste. Und tatsächlich sprechen auch die Figuren in Köcks Stück davon, die Geschichte hinter sich gelassen zu haben. Sie leben in einer Welt des Neoliberalismus, in der bereits alle Pfründe aufgeteilt wurden und die Jungen so gut wie keine Chancen mehr auf einen Aufstieg im Berufsleben haben, der ihnen ein halbwegs gesichertes Einkommen bringen würde.

Angesiedelt im Umfeld eines Glücksforschungsinstitutes agieren Aleksandra Corovic, Johanna Rehm, Steve Schmidt und Dirk Warme als abhängige Jung-Angestellte. Ihre Gefühle brechen für das Publikum zwar sichtbar aus, werden von ihnen jedoch im Alltag sozial erwünscht, artig und brav unterdrückt. Pilar Aguilera schlüpft in die Rolle ihrer Chefin, die sich nicht scheut, ihre Macht uneingeschränkt auszuspielen. Frau Dr. Fekter, wer Ähnlichkeiten mit lebenden Personen erkennt, ist ein Schelm, lässt ihrem jungen Nachwuchs ohne Skrupel spüren, dass sie nicht daran denkt, auch nur einen Cent ihres Reichtums, den sie sich in den Jahrzehnten des Wirtschaftsbooms aufgebaut hat, abzugeben. „Sagen Sie, wofür bezahle ich Sie eigentlich kaum?!“, ist einer ihrer anmaßenden Sprüche, mit dem sie ohne Gegenwehr Angst verbreitet.

Köck verwendet eine Sprache, die Gedachtes und Gesprochenes miteinander vermischt. Dafür stellt er den einzelnen Figuren ein Alter Ego an ihre Seite, das zumeist anstichelt und Unfrieden stiftet. Er zeigt ein Zukunftsbild, das eigentlich nichts Zukünftiges mehr an sich hat. Vielmehr ist das Gerangel um den ersehnten Fix-Job, für dem man Überstunden macht und seine Familie vernachlässigt, längst Alltag. Antidepressiva, beschönigend als „Bessermacher“ tituliert, sind an der Tagesordnung. Den Sinn einer erfüllten Arbeit hat man längst vor der Türe gelassen. Die Liebe wurde in schwarzen Säcken im Sondermüll entsorgt und der Geschichte wurde schlicht „gute Nacht!“ gesagt.

Samuel Schaab verstärkt die Absenz der Menschlichkeit durch ein technisch aufmagaziniertes Bühnenbild mit von der Decke hängenden Leuchtstäben und daran fixierten Mikrofonen. Die Regie von Katharina Schwarz gibt dem ohnehin mit zeitgeistigen Schlagworten hoch getakteten Text noch zusätzlich Speed. Sie lässt den Figuren keine Verschnaufpause und erweckt dadurch den Eindruck einer rastlosen und permanent getriebenen Gesellschaft, die zwar den Wahnsinn der eigenen Lebensumstände erkannt hat, aber nicht imstande ist, sich dagegen zu wehren.

„Was wäre die Mittelschicht ohne ihre Angst?“, lässt Köck eine der Personen sagen und benennt damit das Grundübel jeglicher freiwilliger Unterjochung. Dass am Ende sich alle für alles entschuldigen, den Zustand der Welt bedauern, scheint für den Autor der mögliche Ausweg aus dem Dilemma zu sein, das damit aber dennoch nicht aus der Welt geschafft wird.

Hass und Neid, Besitzstandswahrung, Angst, Überheblichkeit und der Einsatz von Ellenbogen, all das sind Gefühle und nicht zuletzt Taktiken, die in diesem Drama vorkommen. Gefühle, die nicht erst seit dem Neoliberalismus bekannt sind, aber, so wird allerorten kolportiert, durch diesen zusätzlich befördert werden können. Dem intensiven Spiel des Ensembles ist es zu verdanken, dass die einzelnen Charaktere zumindest ein wenig greifbar werden. Der Zynismus und Sarkasmus, das Schwarz-Weiß von Köcks Text, lässt dies auf weite Strecken wohl ganz bewusst nicht zu.

Ein Umstand, der das Publikum nicht betroffen macht, sondern ihm allenfalls die Möglichkeit gibt, den Grundaussagen und der im Stück verbreiteten Tristesse zuzustimmen, oder sich und anderen zu beweisen, dass es auch anders geht.

european-cultural-news.com, 9.3.2016


Zuhause war eine beschissene Idee

Am Montag den 7.März 2016 wurde Thomas Köck’s Stück “jenseits von fukuyama” seiner österreichischen Erstaufführung zugeführt. Dies geschah zwei Jahre nach der Uraufführung in Osnabrück (Deutschland). Auch “isabelle h. (geopfert wird immer)”, der zweite Text, mit dem der junge Oberösterreicher Köck bereits einen international anerkannten Dramatikerpreis gewann, wurde nicht in Österreich, sondern in Kaiserslautern (D) uraufgeführt.

Nun betrat Köck zum ersten Mal den Wiener Theaterboden. Und zwar in der Drachengasse unter der Regie von Katharina Schwarz, die gemeinsam mit dem Bildenden Künstler Simon Schaab ein Konzept entwickelte, das die Schauspieler_innen in einem Licht&Sound-Apparat, einer abstrusen Arbeitsplatz-maschine, zwischen dem Publikum spielen lässt. Um es gleich vorwegzunehmen: Köck kann man sich ansehen! Und man sollte es auch tun. Weil es irgendsowas wie eine allgemeine Pflicht gibt, den künstlerischen Nachwuchs seiner “Heimatkultur” zu kennen. (Natürlich *flüssiges Kulturkonzept / und: *Heimatsbegriffkritik / und: Man sollte nicht nur den eigenen Nachwuchs kennen. /und: “eigene” und “andere”. – Waren das genug Anführungszeichen und Sternchen?)

Der Abend von Thomas Köck und Katharina Schwarz begann mit Sprechübungen. Drei Lichtsäulen, beweglich/drei-teilig, mit Mikrofonen. Zwei Männer, drei Frauen sprechen Worte in die Säulen und blicken nach oben, als ob sie auf der Suche nach einem Codewort wären.

Das Stück hat noch nicht begonnen. Eine Besucherin stößt im Hereingehen versehentlich einen Stuhl um. Thomas Köck, der im Publikum sitzt, reagiert lachend spontan auf die Situation. Er ruft “Stuhl” auf die Bühne. Ein Schauspieler nickt und spricht’s ins Mikro. Köck scheint Spaß zu haben.

Die Kostüme sind grau, schwarz, weiß (wie meine Kleidung, denk ich -witzig, weil auch ich in ähnlichen Beschäftigungsverhältnissen wie die Figuren auf der Bühne). Es ist so voll, dass Menschen auf der Stiege sitzen.

Wie von Katharina Schwarz während des Interviews vor dem Stück beschrieben, beginnt der Text als Chor. Dann treten Figuren heraus und befinden sich in konkreten sozialen Situationen. Allerdings sind hier mehrere Sprachsituationen verdichtet. Eine junge Frau erzählt hier beispielshalber von einem Gespräch, das sie mit ihrem Beziehungspartner geführt hat. Sie fungiert als Erzählerin und sie erzählt es ihm, der Teil der Situation war. Aber sie erzählt es auch uns, dem Publikum. Irgendwie erzählt sie es auch sich selbst. Köck lässt sie ihre Erzählposition transzendieren und auf den Grenze der Sprechsituation auf und ab balancieren.

Der Text ist sehr viel. Es ist wie eine Textorgie. Ich verstehe nicht jedes Wort, aber ich denke, das ist auch nicht nötig. Um mich zu schützen glaube ich jetzt mal, dass man gar nicht alles verstehen kann. (Um mich zu schützen, schreib ich, damit ich mir nicht denke, dass ich selbst schuld bin daran, dass es mir ein bisschen zu viel und zu schnell war.) Der Text bewegt sich wie ein sehr schnelles Bild; ein poetischer Film, den man nicht festhalten kann an einer Stelle. Man kann ihn nicht genau ansehen, er läuft auf seinem Tempo einfach weiter. Das ist geil, wird mir aber nach einer Stunde auch mal zu viel.

Es ist eine Krisenerzählung. Nicht die dominante. Nicht das große Krisennarrativ, das wir alle aus den Zeitungen und aus dem Fernsehen kennen. Die Verdichtung entleert das große Narrativ des Endes der Welt ein Stück und zeigt Funktionalitäten wie die mangelnde Solidarität, den Egozentrismus und die Angst vor dem gesellschaftlichen Abstieg.

“Zuhause war so eine beschissene Idee der 50er Jahre.” heißt es da.

Die Chefin unterdrückt zwar, aber es ist trotzdem auch so, dass die jungen Leute im Stück auch Opfer ihrer eigenen Taten sind. (Bourdieu lesen) Sie könnten sich ja auch zusammenschließen, solidarisch, und aufbegehren. Tun sie aber nicht.

Hihi, post-dramatische Schauspieler_innen erkennt man daran, dass sie ihre eigene Bühne selbst auf- und ab- und umbauen, denk ich.

Die moderne Arbeitswelt ist abstrakt wie ein Computerspiel. Die Körper sind fremdbewegt von elektronischer Musik.

Man kann es schon moralisch finden, wenn die Chefin ihrem prekär angestellten Untergebenen sagt, sie – die Generation der 70er – hätten damals Geld angehäuft, würden aber nichts an sie – die Generation der 90er – abgeben. (Im Publikum lachen manche, ich auch, die sich irgendwie in ihrer Meinung bestätigt fühlen. Ich denk dran, dass sich meine Generation den Lebensstandard der Elterngeneration nicht leisten können wird.)

Ich mag, dass der Text sich nicht in postmodernen, ironischen Distanzierungen ergeht, sondern Meinung hat und Stellung bezieht. Das macht ihn angreifbar, streitbar und stark.

Nach einer Stunde bin ich müde, habe einen Einbruch, bin wahrnehmungsmüde.

Die Schauspieler_innen zeigen und blicken immer wieder nach oben. Was ist denn da? Was soll denn da sein? Die Wahrheit? Gott? Eine Antwort? Eine Festanstellung? Die Geschichte? Die Außenwelt?

Wieder eine Traumsequenz. Peers Erinnerung will sich ihm – dem Erzähler seiner eigenen Geschichte – nicht fügen. Sie widerspricht ihm und plötzlich kommt seine Chefin in die Erinnerung hinein, die doch gar nichts damit zu tun hat. Hallo, Burnout!

“Was für eine überflüssige Generation Sie doch sind.”, sagt die Chefin zu Peer.

Peer ist noch nicht mal 30, Assistent an diesem Zentrum für Glücksforschung und schon am Burn-Out dran. Am Ende bleiben nur er und die Chefin im Panikroom übrig. Dann schreit er, dass alles brennen soll. Das lieb ich. Die Idee, dass alles brennen soll. <3

Die Apokalypse draußen. Drin sinnlose Arbeit, Zurückhaltung, Verzweiflung.

“jenseits von fukuyama” will irgendwie alles. Gleichzeitig kann das Thema des Textes nicht auserzählt werden. Theaterplots, die von runden Figuren getragen und dramatisch erzählt werden, sind leichter zu verfolgen. Ein angenehmes Stück ist der Text von Thomas Köck nicht. Er ist vollgepackt mit Ist-Zustandsbeschreibungen, Theorien über die Welt und Meinungen zu sozialen, ökonomischen und ökologischen Situationen. Köck hat für sich eine besondere Art der verdichteten Erzählform gefunden, die einen erstmal mit offenem Mund vor der Textwand stehen lässt, immer wieder Lacher entlockt und potenziell anstrengend ist. Am Ende bin ich sehr froh, dass es den Text gibt und ich ihn jetzt kenne. Ich habe den Abend genossen. Aber jetzt sehne ich mich nach einem Moment der Stille.

callisti1010.com, 11.3.2016


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