All das Schöne
- Duncan Macmillan mit Jonny Donahoe
Deutsch von Corinna Brocher - Theater Drachengasse
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4. – 23. November 2019
Di-Sa um 20 Uhr
Alle Termine sind ausreserviert.
- Wiederaufnahme wegen des großen Erfolges!
Tu’s nicht. Halte durch. Es wird wieder anders. Wer weiß, was dich im Leben noch erwartet.
Schokolade. Wasserschlachten. Beide Hälften vom Twinni bekommen.
Drei von unzähligen Dingen, die eine Siebenjährige nach dem Suizidversuch ihrer Mutter auflistet, um sie an die Schönheit des Lebens zu erinnern. Immer wieder kehrt sie zu ihrer Liste zurück, die als kindliches Geschenk beginnt, zur pubertären Kampfansage und zum Rettungsanker in der eigenen Beziehung wird, bis sie bei einer Million endet.
Eine Million Gründe, weiter zu leben.
Brilliant ist diese österreichische Erstaufführung in der Tat. Falter
Michaela Bilgeri führt mit großer Leichtfüßigkeit durch den Abend. Der Standard
Eine musikalische und unsentimentale konsequente Inszenierung. Wiener Zeitung
Regie: Esther Muschol
Bühne, Kostüm: Ágnes Hamvas
Musik: Andreas Dauböck, Rupert Derschmidt
Regieassistenz: Carmen Jelovcan
Es spielt: Michaela Bilgeri
Rechte bei Rowohlt Theaterverlag Hamburg
Die Vorstellung von All das Schöne am 16.11.2019 findet im Rahmen der Europäischen Theaternacht statt.
»pay as you can/wish«, das heißt, jede*r Besucher*in bezahlt, soviel sie/er ausgeben kann und möchte.
Liste trifft Herz: "All das Schöne" im Theater Drachengasse
Mitmachtheater zum Thema Freitod - was zynisch bis deprimierend klingt, erweist sich im Theater Drachengasse als großer Wurf. Schon Duncan Macmillans Zwei-Personen-Stück "Atmen" war ein großer Erfolg für die Innenstadtbühne. Den Monolog "All das Schöne" entwickelte der britische Dramatiker mit dem Comedian Jonny Donahoe, der ihn auch als Erster darbot. Eine Person unbekannten Namens erzählt von einer Liste schöner Dinge, Tätigkeiten und Momente, die sie siebenjährig nach dem ersten Suizidversuch ihrer Mutter anlegte und seither immer in entscheidenden Lebensphasen fortsetzt.
Für Wien hat die Regisseurin Esther Muschol aus dem Erzähler eine Frau gemacht, den Text lokal adaptiert und Michaela Bilgeri auf den Leib inszeniert. Die vom Aktionstheater bekannte Schauspielerin ist das verkörperte Identifikationsangebot. Sie versucht sich nicht an hochgestochenem Bühnendeutsch, hält Autgenkontakt mit ihrem Publikum. Vor Beginn verteilt sie Zettel und bittet, diese später immer dann vorzulesen, wenn bei der Vorstellung die entsprechende Zahl ertönt: "1.Schokolade" steht da, oder: "7.Beobachten, wie andere heimlich nasenbohren."
Und tatsächlich: Ohne sich zu zieren, gestalten die Anwesenden den Abend, angeleitet von der entfesselten Bilgeri und ihrem kongenialen Begleiter, dem Schlagzeuger Andreas Dauböck. Zuschauer werden zum Vater, zur Therapeutin, zum Freund der Hauptfigur. Das Leben geht weiter nach Mutters Suizidversuch, auch nach dem zweiten, zehn Jahre später, und neue beglückende Listeneinträge sprießen unerwartet auf allen Seiten, der ganze Theaterraum entpuppt sich als Wundertüte. Der Abend ist fröhlich, dann wieder traurig, doch nie negativ oder rührselig. Denn unverstelltes Gefühlstheater trifft hier auf das vermeintlich Trockenste, was es gibt: eine Liste.
"Every Brilliant Thing" heißt das Stück im Original. Brilliant ist diese österreichische Erstaufführung in der Tat. Und einfach schön.
FALTER 44/18, 31.10.2018
"All das Schöne": Trauer und Schrecken auf leichtem Fuß
Depression, Suizid, Lebenslust und Humor bilden in Esther Muschols Inszenierung von Duncan Macmillans Stück keinen Widerspruch
Wien – "Learning to Love You More" hieß ein wunderbares Projekt von Miranda July und Harrell Fletcher, in dem sie vor einigen Jahren in ihrem Blog aufforderten, kleine Aufgaben zu erfüllen mit dem Ziel, sich selbst ein bisschen mehr zu lieben: das eigene Bett als Papiermodell nachbauen, eine Narbe dokumentieren, die Sonne fotografieren oder die sich küssenden Eltern.
Die Protagonistin in Duncan Macmillans Stück All das Schöne (im Original: Every Brilliant Thing) hat einiges beizutragen zu schönen Sachen, für die es sich zu leben lohnt: Nummer eins auf ihrer Liste ist, ganz klar, Schokolade, Nummer zwei Wasserschlachten mit Wasserbomben. Darauf folgt, mit sieben Jahren noch, beide Seiten vom Twinni zu essen. Das Schöne ist auch ein Klavier in der Küche, vor allem, wenn Mama spielt und singt.
Besagte Mama findet es schwierig, genügend Dinge zu sehen, für die es sich zu leben lohnt. Sie liegt nach einem Suizidversuch im Krankenhaus. Dort setzen Macmillans Text und Esther Muschols Inszenierung im Theater Drachengasse an, in der Kindheit ihrer Protagonistin, von Michaela Bilgeri in Anekdoten illustriert. Begleitet wird sie von Andreas Dauböck, der die Jazzplatten des Vaters ebenso wie die Lieblingsmusik der Mutter live auf der Bühne vertont.
Allein ist Michaela Bilgeri nie und spielt immer wieder mit Zuschauerinnen und Zuschauern: Eine ist spontan Tierärztin, einer gibt die Kinderpsychologin, ein anderer mimt den Vater, der sich lieber in seine Schallplattensammlung flüchtet, als mit seiner Tochter zu sprechen. Bilgeri ist ständig in Bewegung, erzählt, erklärt, hinterfragt, ist mal berührend, mal berührt und führt mit einer großartigen Leichtfüßigkeit durch den Abend. Die Interaktion mit dem Publikum ist nie übergriffig oder gezwungen, die Stimmung beschwingt und aufgeschlossen.
Die Liste an Schönem wird länger. Ágnes Hamvas' Bühne gibt weitere Dinge preis, und das Publikum ergänzt sie durch Sachen auf verteilten Zetteln und durch Eigenes: Nacktbaden, Erdbeercreme und im Urlaub zu viel Geld ausgeben, weil die fremde Währung wie Monopoly-Geld wirkt. Das Wort "fragil", Gespräche, Palindrome, Sex, Schnee und Sushi. In dem kleinen Raum der Drachengasse rückt man näher zusammen.
Soul und Jazz dienen der Sprachlosigkeit über die Krankheit der Mutter als Brückenschlag zwischen Vater und Tochter, später auch zwischen der Tochter und ihrem Geliebten. Das Stück umkreist die ungestellte Frage, warum man als Kind denn nicht Grund genug ist, das Leben lebenswert zu finden – und versinkt dabei nie in Selbstmitleid. Die vielen schönen Dinge rufen Erinnerungsschnipsel hervor und lassen fast vergessen, dass das Thema ein schweres ist, so lebensbejahend kommt der Abend daher.
Im Sinne Julys und Macmillans lässt sich die Liste zu All dem Schönen von jedem immer weiterführen. Besonders schön daran: Die Liste ist eine endlose.
Der Standard, 24.10.2018
Eine Million Dinge, um das Leben zu leben
Sie ist sieben Jahre alt, als die Mutter zum ersten Mal versucht, sich das Leben zu nehmen. Sie ist 17 beim zweiten Mal und 27 beim letzten.
"Every brilliant thing", so der Originaltitel von Duncan Macmillans 2013 uraufgeführtem Monolog "All das Schöne", das sind all die Dinge, für die es sich "zu leben lohnt". Zu Beginn sind es 314 Dinge eines Kindes, das plötzlich mit der Lebensverweigerung der Mutter konfrontiert ist. Schokolade, Achterbahnen und "Leute, die in der Nase bohren, und man schaut zu, was sie damit machen". Zehn Jahre später sind es Nacktbaden, Geheimnisse, Versöhnungen, "nicht zu viele materielle Dinge". Am Ende werden es eine Million Dinge sein. Und eine tote Mutter. Was bleibt, das sind in Macmillans berührendem Monolog nichts weniger als Lebensbejahung, der Mut weiterzuleben und das Wissen, dass die Listen einen weitertragen werden.
Regisseurin Esther Muschol hat mit Schauspielerin Michaela Bilgeri (Bild) im Theater Drachengasse eine humorvolle, sensible Adaption mit hie und da ein wenig zu bemühtem "Lokalkolorit" entwickelt, bei der das Publikum mit sympathischer Leichtigkeit zur im Stück vorgesehenen Mitarbeit eingeladen wird.
Entstanden ist eine musikalische und unsentimentale, zwischen Unmittelbarkeit und intensiven Momenten changierende konsequente Inszenierung über "die Möglichkeit, aus der Sprachlosigkeit auszubrechen".
Wiener Zeitung, 24.10.2018
Eine Liste für die Lust am Leben
Nummer eins: Schokolade, Nummer zwei: Wasserschlachten mit Wasserbomben, Nummer drei: Achterbahnen … So beginnt eine Reihenfolge der Dinge, die eine Siebenjährige nach dem Selbstmordversuch ihrer Mutter auflistet, um diese an „All das Schöne“ zu erinnern, für das es sich zu leben lohnt. Im Theater Drachengasse hat Esther Muschol den Monolog des britischen Dramatikers Duncan Macmillan inszeniert. Eine wunderbare One-Woman-Show für Schauspielerin Michaela Bilgeri, die sich von Andreas Dauböck musikalisch beistehen lässt.
Bilgeri holt sich für ihre Protagonistin auch Unterstützung aus dem Publikum. Noch bevor’s losgeht werden Zettel verteilt, darauf Worte und Halbsätze, wer einen in die Hand gedrückt bekommt, wird im Laufe des Abends seinen Punkt der Lebenslust-Liste laut vorzulesen haben. Bilgeri holt ihre Zuschauerinnen und Zuschauer mitunter sogar Richtung Spielfläche ab. Eine wird spontan zur Tierärztin, aus einer ausgeborgten Fleecejacke und einem Kugelschreiber werden Hund und Spritze, einer wird zum Vater, eine Schulpsychologin, die, entledigt von Schuh und Strumpf, versucht sich dem verstörten Kind durch „Socki“ anzunähern.
Dass die Mitmach-Übung gelingt, dass die Gruppendynamik bald den ganzen Raum ergreift, ist Bilgeris und Dauböcks sympathischer Art zu danken. Nie sind die Interaktionen peinlich oder übergriffig oder erzwungen, im Gegenteil: die Stimmung ist froh gestimmt und offenherzig, erstaunlich wie die Leute mitgehen und wie sich manch einer als Bühnentalent entpuppt, verblüffend, wie man zur Gemeinschaft wird, wie man näher zusammenrückt. Der Abend wirkt trotz des schweren Themas leichtfüßig. Bilgeri turnt zwischen Sitz- und Satzreihen, spielt auf den Punkt, spielt mit Feuer und auch Verzweiflung, ist berührend und selbst gerührt, erzählt und erklärt und fragt und hinterfragt, und erweist sich insgesamt als großartige Entertainerin, die ihre Figur mit viel Humor, der nötigen Portion Galgenhumor ausstattet. Von der Art, mit der man die ständige Angst vor dem nächsten Absturz mit Anekdoten tarnt.
„Wenn etwas Schlimmes passiert, spürt das der Körper, bevor der Verstand weiß, was passiert ist“, sagt sie. Da ist es, zehn Jahre später, wieder so weit, die Mutter nach einem weiteren Suizidversuch wieder im Krankenhaus, und die nunmehr Teenager-Tochter, die ihr erst empfiehlt, keine Tabletten mehr zu nehmen, sondern „Spring von einer Scheiß-Brücke!“, setzt die Liste fort. Erweitert sie um „Wayne’s World“ und Johnny Depp. Macmillans liebenswerter, und ebenso dargebotener, Text lässt deutlich erkennen, was die ständige Sorge um die Mutter, was deren Depression mit der Familie macht, mit der Tochter, die mit dem Erwachsenwerden mehr und mehr mit der Angst konfrontiert wird, so zu werden wie sie, mit dem schweigsamen Vater, der sich in seine Schallplattensammlung verkriecht.
Dauböck und Bilgeri geben dessen Lieblingsmusik live zum Besten. Von Johnny Cashs „Ring of Fire“ bis zur Vertonung der Konrad-Bayer-Lyrics „Glaubst i bin bled“ von der Worried Men Skiffle Group. Auch die Mutter in ihren besten Momenten ist anwesend, wenn sie am Klavier in der Küche singt. Doch eine Universitätsprofessorin lässt ausgerechnet den „Werther“ lesen, ein erster Freund wird erst zum Ehemann, dann zum Ex. Bilgeri bringt ihr Publikum mit ihrer Spontanität bis zum Küssen, und ja, ein bissl arbeitet da schon der Schadenfreude-Faktor, wenn man grad selber nicht drankommt.
Und Ágnes Hamvas' Raumgestaltung gibt weitere Listenplätze preis, und viele davon legen eigene Erinnerungen an „All das Schöne“ frei. Bis eine Million will die Ich-Erzählerin kommen. Im Foyer liegt nicht zuletzt deshalb ein Buch auf, in das das Publikum selbst seine schönsten Dinge eintragen kann. Neben „schwanger sein“ und „ein Kind zur Welt bringen“, dies wohl als Frage darauf, warum das Macmillans Mutterfigur nicht Lebensgrund genug ist, steht da: Zu sehen, wie Jamie Cullum nach seinem atemberaubenden Konzert auf der Donaubühne Tulln beim Schlussapplaus samt Band ins Wasser sprang. Na bitte. Bis 24. November kann man sich noch in die Liste eintragen.
Mottingers-Meinung.at, 14.11.2018