Heimat in Dosen

  • Ein Projekt von Rieke Süßkow und Emre Akal
    Jurypreis des Nachwuchswettbewerbs 2017
  • Bar&Co
  • 22. Jänner – 3. Februar 2018, Di-Sa um 20 Uhr





















Der Andrang, der aus den Kriegsgebieten fliehenden Menschen, wird durch die politische Rhetorik zur Naturkatastrophe. Also was tun, wenn scheinbar die Apokalypse vor der Tür steht? Magda und Franz haben sich eine neue Heimat gewünscht, einen eigenen, nigelnagelneuen Staat, in dem sie vor den Flüchtlingsströmen sicher sind. Nun leben sie fernab von der Außenwelt in einer homogenen Gesellschaft, in der sie ihre vertrauten Werte und Ideale erhalten können.

Heimat in Dosen erzählt über eine skurrile Welt, in der die Utopie einer kulturellen Reinheit sich in einen klaustrophobischen Angsttraum verwandelt, in dem die Luft stillsteht und die Zerstörung nicht von außen, sondern von innen kommt.


Regie: Rieke Süßkow, Emre Akal
Text: Emre Akal
Bühnen- und Kostümbild: Lukas Fries
Kostümmalerei: Raffaela Schöbitz
Sounddesign: Paul Wolff
Regieassistenz: Raffaela Schöbitz, Melanie Lyn
Sounddoublage: Melanie Lyn
Es spielen: Philipp Stix, Burak Uzuncimen, Julia Carina Wachsmann

Das Projekt wird gefördert durch die Kulturabteilung des Magistrats der Stadt Wien.

Interview mit Rieke Süßkow und Emre Akal

Das Paradies, zum Schlürfen schön

Das Siegerprojekt des Drachengassen-Bewerbs 17 ist zurück. Rieke Süßkows und Emre Akals Groteske einer Modellfamilie im selbstgewählten Exil heißt jetzt "Heimat in Dosen". Aus Dosen kommt die Suppe, die die Mama (Julia C. Wachsmann mit bestechender Gummi-Mimik) in rauen Mengen zubereitet haben muss, bevor die Familie aus lauter Fremdenangst ins abgeschottete Paradies- einen großen Plastikball- ging. Wehe, Mann und Sohn (Burak Uzuncimen, Philipp Stix) müssen erst nachdenken, ob´s schmeckt! Alles hat "ausgesprochen schön" zu sein. Der Text, leere Phrasen der Selbstbetrüger, kommt ebenso vom Band wie comichafte Geräusche zu jeder Bewegung. Quälend konsequent pocht die Regie auf Wiederholungen mit minimaler Variation. Und Lukas Fries´Ausstattung ist ein traumhafter Albtraum in Türkisblau.

FALTER 05/18, 31.1.2018


Heimat in Dosen – In der Wiener Drachengasse sperren Rieke Süßkow und Emre Akal eine Kleinfamilie in die dystopische Blase

In der Blase

Knarr!, knarzt die Bewegung, klonk-klirren die Dosen, reißen drei schlumpfblaue Schlümpfe ihre Köpfe gen Nacken. Es ist wegen des Suppenkonsums: Schlürf! "Schmeckt sie dir?" Familienvater Franz bejaht. "Das Besondere an so einer Suppe ist, sich gemeinsam über den Geschmack zu freuen", betont Mama Magda. Also: "Uns geht es gut."

Im panischen Plastikbau

Rieke Süßkow und Emre Akal servieren "Heimat in Dosen" am Theater Drachengasse als statisches Spiel mit Sound-Extravaganza und Ausstattungs-Pedanterie. Beim Nachwuchswettbewerb 2017 zeigte das Regie-Duo vergangenen Sommer einen 20-minütigen Teaser. Von der Jury prämiert, ward daraus nun ein 60-minütiger Abend. Zack!

Akal, der zum Beispiel 2016 am Gorki Love it or leave it! gemeinsam mit Nurkan Erpulat und 2017 am Landestheater Niederösterreich Die Eroberung des goldenen Apfels gemeinsam mit Hakan Savaş Mican erarbeitet hat, dosiert als Autor von "Heimat in Dosen" die Worte sparsam. "Gut!" und "schön" und "aus tiefstem Inneren Magda: Schön". Magda und Franz leben mit Sohn Bernd abseits der Welt. Raumstation, Unterwasserblase, Glasglocke fernab vom Geschehen; eine bühnenraumgreifende Plastikkugel suggeriert klinische Sicherheit und betörende Enge. Im Klaustrophobischen stehen, sitzen, "reden" die Schauspielenden Julia Carina Wachsmann, Philipp Stix und Burak Uzuncimen. Setzen sie zum Sprechen an, dann atmen sie abrupt und bewegen die Münder in Überartikulation zur Tonaufnahme. Sounddesigner Paul Wolff zerrt manche Sätze unwahrscheinlich nah aneinander, überzeichnet die Roboter-Bewegungen mit Comic-Geräuschen. Bühnen- und Kostümbildner Lukas Fries präsentiert Dosen, Kaktus, Zeitung, Strickzeug, Kleidung, Perücken, alles was das Heimat-Herz im selbstgewählten Exil begehrt, in einem panischen Plastikblau.

Panik, Wut, Verzweiflung, Misstrauen

Draußen gibt es "keine Welt mehr". Ob Naturkatastrophe oder Menschenkatastrophe oder überzeugtes Sekten-Exil, Familie Schlumpf hat sich für das Wohnen unter Plastik entschieden. Sie haben sich selber konserviert, essen Suppe aus Konservendosen und beteuern: Es „war die einzig richtige Entscheidung“. Eine vierte Stimme aus dem Off unterbricht die Szenenfolge. Erzählt bei zärtlich-verträumter Sound-Kulisse vom Draußen. Da tutet es wie Schiffshorn und bläst es wie Wind. Draußen wird ein Nachbarskind erschossen, erzählt die Stimme. Und dass es keine Maisfelder mehr gibt. Und dass die Vögel ihren Nachwuchs "mit alten Kondomen und verwaschenen O.B.’s füttern". Drinnen gibt es Sicherheit, sicherlich keine Freiheit und ein ausgewachsenes Kommunikations-Problem.

Stix lässt sein Jojo knapp am stoisch zeitungslesenden Uzuncimen vorbeisirren. Der Sohn rebelliert. Er muss "erst mal nachdenken", bevor er antwortet. In einer so engen Sprach- und Erlebniswelt ein krasser Affront. Auch Magda zweifelt. In der Wiederholung der immer gleichen Sätze und Gesten agiert Wachsmann mit zunehmend auffälliger in Mundpartie und Augenpartie auseinanderfallenden Grimassen. Hier Lächeln, dort Panik, Wut, Verzweiflung, Misstrauen. "Heimat in Dosen" arrangiert ein sehr überschaubares Satzrepertoire in immer dringlicheren Schleifen: "Schön?", "Gut!". Bei Szenenumbau geht das Licht aus, versucht abstraktes Rauschen über die Umbauarbeit hinweg die Stimmung zu halten. Naja. Das dauert. Stop-and-Go macht mühsame Monotonie.

Als ästhetisch eindringliches Stimmungsbild einer in sich selbst marinierenden Scheuklappen-Gesellschaft funktioniert "Heimat in Dosen" dennoch tadellos. Das Unvermögen mit sich selbst, den anderen, der Welt in Kontakt zu treten wird durch die Technisierung der Klang-Ebene präzise umgesetzt. Wachsmann, Stix und Uzuncimen stehen starr in der Plastikkugel, festgefroren in unbequemen Posen. Lippen, Nasenflügel, Augenbrauen avancieren zum maximal vielfältigen Ausdrucksorgan. Diese Akrobatik schreibt der Aufführung ein hochemotionales Bedrohungsszenario ein. Mit weit klaffenden Augen: Schlürf! "Gemeinsam". Schön.

nachtkritik.de, 23.1.2018


Neue, enge Welt in schlumpfeis-blau

„Heimat in Dosen“, Siegerprojekt des 10. Nachwuchsbewerbes nun als abendfüllendes Stück im Theater Drachengasse.

Die Bühne bleibt mit einem dunklen Vorhang verhüllt, wenn die Zuschauer_innen in den Theatersaal kommen. Ganz lang. Erst mit dem Dunkelwerden wird die Stoff-Trennwand zwischen Publikum und Bühne beiseite geschoben. Ohne allzu viel zu spoilern – die Fotos zeigen’s und es ist ja das zentrale Inszenierungskonzept von „Heimat in Dosen“ im Theater Drachengasse – ist nun der Blick frei auf eine große, durchsichtige Kunststoffkugel. Im Inneren: Die drei Akteur_innen, die nun die nächste Stunde hier spielen werden.

Fast Slow-Motion

Die Kugel erinnert an einen Zorb – jene Kugel, in der Menschen über Wiesen oder auch am Wasser rollen. Dies funktioniert aber nur durch die Bewegung derer, die in der Kugel sind. Hier auf der Bühne ist nicht nur die Kugel starr. Julia Carina Wachsmann als Magda, Burak Uzuncimen als ihr Ehemann Franz sowie Philipp Stix in der Rolle ihres gemeinsamen Sohnes Bernd bewegen sich recht wenig. Alles sehr verlangsamt. Auch die recht wenigen, sich immer und immer wiederholenden Sätze kommen beinahe im Zeitlupentempo.
Was noch mehr als die Kugel, in deren Innerem die drei agieren, auffällt ist die Farbe. Praktisch alles (der Boden, Kostüme, Haare und die wenigen Requisiten) außer der Kugel – in einem hellen Blau – irgendwann fällt im Stück der Begriff Schlumpf-Eis – nicht der Farbe wegen. Andere Assoziationen drängen sich wegen der Grundgeschichte auf.

Als Vorbemerkung, bevor die drei in ihrer Kugel in volles Licht getaucht werden, ertönt aus dem Off eine Stimme, die von Etwas da weit draußen erzählt, das ein Boot sein könnte, von einer Schwimmweste... Genug, um die entsprechenden Bildern in den Köpfen der Zuschauer_innen entstehen zu lassen. Und damit will die „Bilderbuchfamilie“ aber schon so was von nichts damit zu tun haben. Das war schon der Ausgangspunkt in der Kurzversion von Rieke Süßkow und Emre Akal, die noch „Oh, wie schön ist Panama“ hieß. (Der von Janosch‘s berühmtem Bilderbuch entliehene Titel war leider verwirrend.) Diese Kurzversion war eines von vier Stückkonzepten, das im Frühjahr beim 10. Nachwuchsbewerb des Theaters Drachengasse gezeigt worden war. Dieses bekam den Zuschlag der Jury und damit die Förderung zur Ausarbeitung eines abendfüllenden Stücks, nun als „Heimat in Dosen“.

Schön, ganz schöööön...

Franz und Magda, traditionell rollenverteilt, gehen der medialen Hysterie auf den Leim und haben so viel Angst vor Flüchtlingen, dass sie sich mit ihrem Sohn eine völlig hermetisch abgeschirmte kleine Welt bauen – eben die Kugel. Da kommt niemand rein. Sie aber nicht raus. „Haben wir’s nicht schön?!...“ Schön finden sie auch, dass sie gemeinsam schön finden, Suppe aus der Dose zu schlürfen. Irgendwann mit der Zeit schleichen sich – nicht ausgesprochen, sondern nur in das Wie der wiederholten Sätze leichte Zweifel ein, ob sie alle drei auch alles wirklich gleich schön finden. Da sei etwas im Schlürfen anders gewesen als sonst...

Eng und immer enger

Allein durch das sehr entrückte, künstliche Agieren der Familie in einer Sprache, bei der nie genau klar ist, ob die drei ihren Text live auf der Bühne sprechen oder er vom Band kommt und sie nur die Lippen synchron dazu bewegen, ergibt sich eine sehr skurrile Bühnensituation. Verstärkt wird diese durch sozusagen extrem verstärkte Geräusche, wenn Franz in einer Zeitung blättert und sich dazu den Finger im Mund befeuchtet. Die Zeitung natürlich auch blau in blau – also nichts zu lesen!

Die an sich schon enge Welt wird immer noch enger. Wer Mauern, Zäune, Blasen baut, in der sie/er lebt, sperrt nicht nur andere aus, sondern auch sich selber ein!

Gefangene

Wunderbar auf den Punkt gebracht hat das die bekannte österreichische (Kinder- und Jugendbuch-)Autorin Renate Welsh-Rabady in ihrem Eröffnungsvortrag der deutschsprachigen internationalen psychoanalytischen Tagung im Oktober 2016. Wegen ihrer tiefgründigen, differenzierten, psychologischen Beschreibung ihrer Figuren und Charaktere war sie dazu eingeladen worden. Einen Abschnitt ihrer Rede widmete sie ihrer jahrzehntelangen Tätigkeit in Schreibwerkstätten – nicht zuletzt mit ausgegrenzten Menschen. Das macht sie, um Menschen dazu zu verhelfen, sich selbst ausdrücken zu können. Unter anderem begründete sie das damit, dass sie sich fürchte, vor Menschen, die kein/zu wenig Selbstwertgefühl haben. Einfache Antworten auf hochkomplexe Probleme – darauf würden sie reinfallen, sie hätten dann andere, auf die sie herabschauen können. Und deren Ängste wiederum würden ausgenutzt, um Zaun- und Mauerbau voranzutreiben. „Inzwischen ist der Mauerbau DIE Wachstumsindustrie. Wer darin investiert, muss sich keine Sorgen um seine Profite machen. Ich mache mir aber Sorgen. Es liegt doch wohl auf der Hand, dass man nicht andere aussperren kann, ohne sich selbst einzusperren. Es wäre zu viel verlangt, als Gefangene nicht die Mentalität von Gefangenen zu entwickeln, mit allen Konsequenzen.“

Obwohl vom Farbton her doch anders, drängt sich irgendwie auch die Assoziation zu Türkis auf – von wegen Routen-Schließungen, Festung sichern, neue, kleine Welt...

kurier.at, kiku, 23.1.2018


Spielplan Januar 2022